Hedging: Auf Nummer sicher gehen
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
An den Börsen herrscht eitel Sonnenschein. Doch in den kommenden Monaten könnte sich die Stimmung durchaus eintrüben. Wir zeigen, wie sich Anleger für mögliche Rückschläge wappnen können.
Von wegen «Sell in May and go away»: Anfang Mai 2024 schwappte eine Kaufwelle über die Aktienmärkte. Euphorisiert von der Aussicht auf baldige Zinssenkungen, eine robuste Konjunkturentwicklung und steigende Unternehmensgewinne scheinen die Börsianer mögliche Risikofaktoren auszublenden. Dabei nehmen sie auch eine deutliche Verschiebung der geldpolitischen Erwartungen in Kauf: Zu Jahresbeginn preisten die USD-Terminmärkte eine Leitzinssenkung der Fed um 1.50 Prozentpunkte im Jahr 2024 ein. Zu diesem Zeitpunkt galt es als ausgemacht, dass die US-Notenbank ihren Kurs bereits im März lockern würde. Weit gefehlt: Die anhaltend hohe Inflation zwang die Fed, die Füsse still zu halten. Glaubt man dem CME FedWatch Tool, wird es frühestens im September zu einer ersten Senkung der derzeit hohen Target Rate von 5.25% bis 5.50% kommen.
Grüsse vom «Black Swan»
Was müsste passieren, damit die Stimmung kippt? Diese Frage wird in den Handelsräumen und Anlageausschüssen intensiv diskutiert. Dabei dürfte auch der Begriff «Black Swan» fallen. Dieser Anglizismus steht für schwer vorhersehbare Ereignisse, welche an den Märkten massive Verwerfungen auslösen können. Der USD 16 Milliarden schwere Hedgefonds Universa hat sich der Jagd nach dem «schwarzen Schwan» verschrieben und damit unter anderem zu Beginn der Pandemie viel Geld verdient. Der Gründer und Anlagechef des US-Investmentvehikels, Mark Spitznagel, warnt davor, sich auf Zinssenkungen zu freuen. Vielmehr könnte die Fed mit der ersten Lockerung einen dramatischen Crash signalisieren. Laut Spitznagel wird die Notenbank ihre Zügel nur im Falle einer drohenden Rezession lockern. Hinzu käme, dass die Wirtschaft immer noch am während der Zeit der ultralockeren Geldpolitik angelegten Geldtropf hängt. Trotz der Aussicht auf Zinssenkungen spricht Spitznagel daher von «der grössten Kreditblase in der Geschichte der Menschheit».
Die jüngste Berichtssaison hat die Kauflaune weiter forciert. In der Tat konnten viele Unternehmen die Erwartungen schlagen. Doch reichte die Aufwärtsrevision bei den Gewinnschätzungen nicht aus, um einen Anstieg der Bewertungen zu verhindern. Beim S&P 500 beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mehr als 20. Dem steht ein 10-Jahres-Mittelwert von 19.1 gegenüber. Zum Ausdruck kommt die ver-
meintliche Arglosigkeit der Börsianer auch in den Volatilitäten. Zwar gab es während der vergangenen Monate Phasen, in denen die Kursschwankungsbreite nach oben ausscherte. Doch haben sich die Gemüter stets schnell wieder beruhigt. Die Folge: Sowohl an der Wall Street als auch den europäischen Märkten bewegen sich die Volatilitäten auf einem notorisch tiefen Niveau.
Ein einfaches Prinzip
Dieses Szenario ist nur ein möglicher «Black Swan». Turbulenzen könnten in den kommenden Monaten auch durch die US-Präsidentschaftswahlen, einen eskalierenden Handelskrieg zwischen den USA und China oder einen verstärkten Rechtsruck in Europa – in diesen Tagen finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt – ausgelöst werden. Sollten Anleger nun Reissaus nehmen und sämtliche Aktien-Positionen verkaufen? Angesichts des starken Momentums und fehlender Alternativen tönt das nicht vernünftig. Gut, dass es Möglichkeiten gibt, das Portfolio abzusichern respektive gegen mögliche Rücksetzer zu immunisieren. Mit Hebelprodukten lässt sich auf fallende Kurse setzen und damit eine im Fachjargon als «Hedging» bezeichnete Absicherungsstrategie implementieren.
Das Prinzip ist einfach: Sobald die Märkte absacken, federn die Gewinne auf der Derivate-Position das Minus bei den im Depot liegenden Aktien ab. Ein häufig genutztes Hedging-Instrument ist der Put Warrant. Er gibt seinem Halter das Recht, einen Basiswert zum Verfalltermin für einen vorab fixierten Preis, den Strike, zu verkaufen. Je weiter sich die zugrunde liegende Position am Laufzeitende unter dieser Marke bewegt, desto höher fällt der Rückzahlungsbetrag aus. Steht der Basiswert dagegen zum Stichtag auf oder über dem Strike, verfällt der Put wertlos.
Auf den Preis eines Optionsscheines nehmen verschiedene Faktoren Einfluss. Neben dem Basiswertkurs zählen dazu die Restlaufzeit und insbesondere die implizite Volatilität. Hier gilt prinzipiell: Je stärker die erwarteten Kursausschläge sind, desto höher liegt der Preis des Optionsscheines – und umgekehrt. Wie bereits erwähnt, fällt die Volatilität derzeit ziemlich tief aus. Dieser Umstand macht eine Versicherung mittels Warrant relativ günstig.
Ein praktisches Beispiel
Angenommen, ein Portfolio von CHF 100’000, das hauptsächlich aus Schweizer Large Caps besteht, soll per Ende Jahr abgesichert werden. Dazu eignet sich der Put Warrant WSMMKV auf den SMI mit Verfalltermin 20. Dezember 2024. Bei einem Bezugsverhältnis von 500:1 und einem Indexstand von 12’000 Punkten brauchen wir gerundet 4’167 Stück des Warrants (Rechnung: [100’000 / 12’000] * 500). Bei einem Briefkurs von CHF 0.81 belaufen sich die Einstandskosten für die Versicherung «Marke
Eigenbau» – ohne Spesen – auf CHF 3’375.
Die Tabelle zeigt die Entwicklung von Portfolio und Absicherung per 20. Dezember und für zwei mögliche Ausgänge des Börsenjahres 2024: Eine Korrektur um 15% sowie weitere Gewinne beim SMI. In Szenario 1 deckt die Versicherung die Verluste im Portfolio vollständig ab. Beim zweiten Szenario hat der Investor die Fortsetzung des Börsenhöhenfluges abgegriffen. Verloren ist dagegen der Einstandspreis der Absicherung – er muss als eine Art Versicherungsprämie verbucht werden. Der Einsatz lässt sich schmälern, indem ein Put mit tieferem Strike gewählt wird. Für die geringeren Kosten nimmt der Investor im «Schadensfall» aber eine höhere Eigenbeteiligung in Kauf.