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payoff Learning Curve

Inflation ist nicht gleich Inflation

06.07.2023 5 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

CPI, PCE oder doch Underlying Inflation – die Gradmesser für die Teuerung sind vielseitig und werden von den Medien und Notenbanken scheinbar auch kunterbunt verwendet. Doch welcher Indikator ist tatsächlich massgebend? Wir bringen Licht ins Dunkel.

Seit nahezu exakt zwei Jahren spukt nun das Inflationsgespenst an den Börsen umher und hält Anleger und Notenbanken auf Trab. Mit zahlreichen Zinserhöhungen versuchen die Währungshüter in Europa und den USA seither der Geldentwertung entgegenzuwirken. Selbst wenn sich die Teuerung inzwischen langsam abschwächt, sich abzuschwächen, ist sie von den angestrebten Zielmarken weit entfernt. Doch nach welchen Werten richten sich die Notenbanken eigentlich? 

Unterschiedliche Gradmesser

Das wohl geläufigste Mass ist der Consumer Price Index. Der CPI, zu deutsch Verbraucherpreisindex, misst monatlich die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen. Der Warenkorb besteht aus rund 700 Güterarten, aus deren Veränderung zum Vorjahresmonat respektive zum Vorjahr die Inflationsrate berechnet wird. Doch aufgepasst: Auch wenn der Verbraucherpreisindex in den Medien der am häufigsten genannte Gradmesser in Bezug auf die Geldwertstabilität ist, scheinen die Notenbanken ihr eigenes Süppchen zu kochen. So steht in den USA eigentlich der PCE-Index ganz oben auf der Agenda. Das Barometer für die persönlichen Konsumausgaben erfasst ein breites Spektrum von Verbraucherausgaben, schliesst aber die volatileren Energiepreise sowie die saisonalen Lebensmittel aus. 

Auch die EZB blickt nicht, wie in den Medien gerne dargestellt, nur auf die Gesamtinflation, sondern hat neuerdings ebenfalls einen speziellen Indikator als wichtige Entscheidungshilfe für ihre Geldpolitik: die Underlying Inflation. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Art Kern-Inflation, welche sich auf den langsamen Teil der Teuerung bezieht, die mittelfristig anhalten wird, wenn vorübergehende Schocks abgeklungen sind. Zu den ausserordentlichen Ereignissen der vergangenen Monate zählen die EZB-Experten unter anderem die pandemiebedingten Wiedereröffnungseffekte, den Energiepreisschock aufgrund des Ukraine-Kriegs sowie die Auswirkungen von Liefer- und Materialengpässen. «Wenn wir uns daher die zugrunde liegende Inflation ansehen, können wir sicherer sein, dass die Inflation auf dem richtigen Weg ist», erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Christine kürzlich auf einer Tagung in Hannover und fügte hinzu: «Und es hat einen wichtigen Vorteil: Messungen der Underlying Inflation können in Echtzeit beobachtet werden.»

Zielmarken in weiter Ferne

Sowohl in Europa als auch in den USA lautet das Inflationsziel auf 2%. Davon sind die Preissteigerungen trotz zahlreicher Zinserhöhungen allerdings noch weit entfernt. In Übersee reduzierte sich der Personal Consumption Expenditures Price Index seit Anfang des Jahres zwar von 5.4% auf 4.7% im Mai, ist aber damit immer noch mehr als doppelt so hoch wie angestrebt und legte zuletzt sogar wieder leicht zu.

Im Euroraum erreichten die Verbraucherpreise ohne Energie und Nahrungsmittel, im Mai mit 5.3% ein niedrigeres Niveau als im April mit 5.6%. Deutlich schneller an Höhe verliert daneben die Gesamtinflation. Diese schwächte sich auf 6.1% ab, das entspricht dem niedrigsten Wert seit mehr als einem Jahr, was vor allem auf geringere Energiekosten zurückzuführen ist. Dem ungeachtet dürfte die EZB weiter an der Zinsschraube drehen, hat sie doch auf ihrer jüngsten Sitzung erneut ihre Teuerungsprognose angehoben. Mit Blick auf die Kerninflationsrate sogar deutlich. «Diese höhere Prognose für die Kerninflationsrate schreit regelrecht nach weiteren Zinserhöhungen», sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank. Auch in den USA scheint der Erhöhungszyklus noch nicht zu Ende sein, selbst wenn die Fed zuletzt eine Pause einlegte. Laut Fed-Gouverneur Philip Jefferson steht die Wirtschaft vor zahlreichen Herausforderungen wie Inflation, Stress im Bankensektor und geopolitische Instabilität. Zudem hat die Fed ihre Prognose für den PCE Preisindex für dieses Jahr ebenfalls angehoben. Dieser soll sich nicht wie im März noch erwartet auf 3.6% verringern, sondern nur auf 3.9%. 

Wende im Anmarsch

Aufgrund der Vielzahl an Inflationsindikatoren könnte der Verdacht aufkommen, dass die Notenbanken jenen Wert auswählen, der besser zu ihrer Geldpolitik passt. Derzeit ist diese restriktiv und so lassen sich vor allem mit Blick auf die Kerninflation noch weitere Zinserhöhungen bequem rechtfertigen. Die EZB schraubte mittlerweile acht Mal ihren Leitsatz nach oben, in den USA kam es sogar zu zehn Anhebungen in Folge. Klar ist aber auch, dass derzeit noch lange nicht von einer Preisstabilität gesprochen werden kann, weder in Europa noch in Übersee und das auch völlig unabhängig von den verschiedenen Indikatoren. «Besorgniserregend ist dabei die Entwicklung der Kerninflation, die vor allem wegen der guten Verfassung des Arbeitsmarktes und des kräftigen Anstiegs der Löhne und Lohnstückkosten weiter hoch bleiben wird», erklärt Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa bei der DWS und fügt hinzu: «Auf der anderen Seite hat die bisherige Geldpolitik bereits zu einem Rückgang der Kreditvergabe und zu einer Verlangsamung der konjunkturellen Entwicklung geführt.» Folglich könnte das Potenzial für eine weitere Straffung der Geldpolitik im Zuge zunehmender Rezessionssorgen bald erschöpft sein. Eine schwächelnde Konjunktur dürfte über kurz oder lang aber auch die Teuerung in die Knie zwingen und das Inflationsgespenst endgültig verscheuchen.   

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