Inflationsbereinigt notiert der S&P 500 noch deutlich unter dem Allzeithoch.
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Zu Gast ist Christian Freihofer, selbständiger Vermögensverwalter und Partner bei Prospera-Invest Vermögensverwaltung AG.
Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Hören:
Einige Finanzmärkte, allen voran die US-Technologie-Titel, eilen von einem Hoch zum nächsten. Ist diese Entwicklung fundamental gerechtfertigt oder befinden wir uns in einer Blasenbildung?
Ob diese Entwicklung fundamental gerechtfertigt ist, kann zumindest für einige der grossen Technologietitel bezweifelt werden. Beispielsweise halte ich ein Preis-/Sales-Ratio von 34 für Nvidia aus Bewertungssicht nicht für gerechtfertigt. Für den Gesamtmarkt liegen die Bewertungen jedoch deutlich unter den Höchstständen von 2021, und wenn man die grossen Technologieunternehmen aus dem Index herausrechnet, sind die Bewertungen nicht übertrieben hoch. Die Tatsache, dass die grossen Indizes wie der S&P 500 oder der Nasdaq neue Allzeithochs erreichen, sorgt natürlich für Schlagzeilen und dann stellt sich automatisch die Frage nach der Blase. Bei genauerem Hinsehen lassen sich die Allzeithochs aber nur auf eine Handvoll Technologieaktien zurückführen. So hat bisher (Stand Januar) nur 1 von 11 Sektoren im S&P 500, nämlich der Technologiesektor, ein neues Allzeithoch erreicht. Auch inflationsbereinigt notiert der S&P 500 noch deutlich unter dem Allzeithoch vom Januar 2021.
Die US-Notenbank hat drei Zinssenkungen bis 2024 in Aussicht gestellt. Wann erwarten Sie die erste Zinssenkung?
Noch vor der letzten FOMC-Sitzung Ende Januar gingen viele Marktteilnehmer davon aus, dass die Fed die erste Zinssenkung für die nächste Sitzung im März ankündigen würde. Ich hielt dies schon damals für zu optimistisch und auch Notenbankchef Jerome Powell hielt dies auf der letzten Sitzung für eher unwahrscheinlich.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich denke, dass die erste Zinssenkung irgendwann im ersten Halbjahr kommen wird. Der genaue Zeitpunkt ist für mich aber nicht entscheidend, viel wichtiger wird die Sequenz und die Motivation sein. Sprich: Werden die Zinsen gesenkt, weil sich die Inflation deutlich der Zielmarke von 2% nähert oder weil sich die Wirtschaft stärker abkühlt als erwartet? Geht man – wie der Markt – davon aus, dass es in den USA nicht zu einer Rezession kommt, müsste die Inflation weiter deutlich zurückgehen, um diese Anzahl an Zinssenkungen zu rechtfertigen. Sechs Zinssenkungen mit einem Soft Landing halte ich daher für eher unwahrscheinlich.
In der Vergangenheit erreichten die Aktienmärkte jeweils kurz vor oder kurz nach einer ersten Zinssenkung in den USA ihren Höchststand. Gelingt diesmal ein Soft-Landing oder ist das Wunschdenken?
Die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen jedenfalls dagegen. Das letzte echte Soft Landing gelang der Fed Mitte der 1990er-Jahre. Der wesentliche Unterschied zu damals ist, dass die Arbeitslosigkeit heute deutlich tiefer liegt. Auch die Bewertungen sind heute deutlich höher als damals. Ob ein Soft Landing zumindest vorübergehend gelingt, hängt wohl davon ab, wie lange die USA bereit sind, Defizite von 7%, 8% oder mehr Prozent zu fahren. Derzeit sieht es ganz danach aus, und zwar unabhängig davon, wer im November zum Präsidenten gewählt wird.
Was könnte zum Spielverderber werden für ein Soft Landing?
Neben exogenen Schocks wie Kriegen o. ä. ist es durchaus denkbar, dass der Bondmarkt irgendwann nicht mehr bereit ist, die für Friedenszeiten extrem hohen Defizite zu den aktuellen Zinsen zu finanzieren. Die daraus resultierenden Verwerfungen sind derzeit schwer abzuschätzen, würden aber unabhängig vom Ausgang zu erheblichen Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten führen.
In einigen Regionen, vor allem in Asien, haben wir deflationäre Tendenzen, in den westlichen Ländern versuchen die Notenbanken, die Teuerung wieder unter Kontrolle zu bringen. Welche Gefahr (Deflation oder Inflation) halten Sie für die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten für wahrscheinlicher?
Das hängt ganz davon ab, wie viel fiskalische Power die jeweiligen Staaten einzusetzen bereit sind. China hat bisher keine energischen Massnahmen wie z. B. während der globalen Finanzkrise 2008/09 ergriffen und kann und will dies wohl auch nicht. Die Inflation ist entsprechend negativ geworden und diese Deflation wird nun in die Welt exportiert. Auch Europa hält sich trotz Rezession mit grösseren fiskalischen Massnahmen zurück und spürt zusätzlich die deflationären Impulse aus China. In den USA wird der deflationäre Druck aus Asien und Europa durch die exzessiven fiskalpolitischen Stimuli aufgefangen. Die Inflation dürfte nicht so schnell auf die Zielmarke von 2% zurückfallen und sich vorerst bei rund 3% einpendeln.
Neben den nach wie vor heiss gelaufenen Magnificent Seven haben im Januar bisher vor allem Branchen wie Gesundheit und Basiskonsumgüter mit einer überdurchschnittlichen Performance überrascht. Was sagt uns diese Entwicklung?
Die gute Entwicklung dieser beiden klassisch defensiven Sektoren sagt uns eigentlich, dass es der Wirtschaft nicht besonders gut geht.
In Ihrem jüngsten Markt- und Portfoliokommentar äussern Sie sich positiv über Gold. Bisher hat das gelbe Metall jedoch enttäuscht. Was macht Sie optimistisch, dass Gold wieder auf die Beine kommt?
Ich würde sagen, dass Gold alles andere als enttäuscht hat. Ganz im Gegenteil! Im letzten Jahr hat Gold in CHF etwa gleich gut performt wie Schweizer Aktien. In USD lag die Performance etwa halb so hoch wie die des S&P 500, der bekanntlich stark von den Technologietiteln profitierte. Erwartungsgemäss sollten Aktien in einem positiven Jahr deutlich besser abschneiden als Gold. Schliesslich handelt es sich bei ersterem um Produktivkapital, das Cash-Flows generiert, während letzteres «bloss» ein monetäres Asset ist, das kein Einkommen erzielt.
Noch interessanter als die relative Performance zu Aktien ist, was mich besonders optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass sich Gold in einem Umfeld stark steigender Realzinsen erstaunlich gut gehalten hat. Nichts korreliert so stark negativ mit dem Goldpreis wie die Realzinsen. Wenn man sich nun vor Augen führt, dass die Realzinsen in den USA seit Herbst 2021 von minus 1.2% auf über plus 2.5% im Herbst 2023 gestiegen sind und der Goldpreis in dieser Zeit nicht, wie man eigentlich erwarten sollte, stark gefallen, sondern sogar um über 10% gestiegen ist, dann stellt sich unweigerlich die Frage, wohin sich der Goldpreis wohl entwickeln wird, wenn die Zinsen erst einmal zu fallen beginnen.
Gibt es in Ihrem eher zurückhaltenden Szenario für das Jahr 2024 neben Gold noch andere Lichtblicke?
Generell bin ich für den Aktienmarkt nicht so negativ gestimmt. Die defensive Haltung rührt einfach daher, dass wir wahrscheinlich noch nicht am Anfang des Zyklus stehen und das wirtschaftliche Umfeld sehr schwierig ist. Dennoch können Aktien durchaus weiter steigen. Wir wollen hier nur nicht all-in sein und fahren die einzelnen Positionen mit entsprechenden Sicherheitsnetzen.
Aus mittel- und vor allem längerfristiger Sicht sind die Lichtblicke allerdings eher bescheiden. Zwar haben sich auch die Anleihen seit Oktober sehr gut entwickelt und könnten noch weiter zulegen, insbesondere wenn sich die Wirtschaft weiter abkühlen sollte. Die erwähnte Problematik der enormen Defizite hängt jedoch wie ein Damoklesschwert über dem Anleihemarkt.
Können Rohstoffe, bei denen das Angebot im Jahr 2024 zum Teil immer knapper wird, für positive Überraschungen sorgen?
Bei den Rohstoffen im Allgemeinen bin ich aufgrund der eher negativen Einschätzung der weltwirtschaftlichen Entwicklung nach wie vor eher negativ eingestellt. Gemessen in Schweizer Franken hat der Rohstoffindex von Goldman Sachs im letzten Jahr rund 20% verloren. Man war also gut beraten, sich hier zurückzuhalten. Einzelne Märkte sind jedoch aufgrund ihrer spezifischen Angebots- und Nachfragedynamik äusserst interessant. Allen voran der Uranmarkt, für den wir bereits seit mehreren Jahren sehr bullish sind.
Wie ist Prospera-Invest derzeit in den Portfolios seiner Kunden positioniert?
Aus den genannten Gründen sind wir derzeit sowohl in den Kunden- als auch in den Familienportfolios in Gold stark übergewichtet. Unseren relativ hohen Anteil an langfristigen US-Staatsanleihen haben wir aufgrund der stark gesunkenen Zinsen bereits halbiert. Zudem haben wir einen eher hohen Anteil in kurzlaufenden Schweizer Staatsanleihen geparkt. Neben kleineren Nischenpositionen sind wir auch in Aktien engagiert. Diese Positionen halten wir zwar defensiv, würden sie aber bei entsprechendem Umfeld und guten Gelegenheiten aufstocken.
Was ist Ihr persönlicher Anlagefavorit für das Jahr 2024?
Da ich hier keine Nischenthemen nennen will, eindeutig Gold.
Vielen Dank!
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Christian Freihofer ist seit dem Jahr 2017 als selbständiger Vermögensverwalter tätig und ist Partner und Verwaltungsrat der
Prospera-Invest Vermögensverwaltung AG. In seiner Funktion als Chief Investment Officer (CIO) ist er für die Verwaltung von Kundenportfolien verantwortlich und leitet gleichzeitig ein eigenes Family Office.
Christian verfügt über eine mehr als 15-jährige Finanzmarkterfahrung als Privatanleger, Trader und Angestellter in der Finanzindustrie. Nachdem er erfolgreich ein Start-up mitgegründet hatte, war er zuletzt bei der Vermögensverwaltungsgesellschaft BlackRock im Bereich ETF und Indexinvestments für die Betreuung von Schweizer Banken verantwortlich. Christian verfügt über einen Master-Abschluss in Accounting and Finance der Universität St. Gallen
und hat den Titel eines Chartered Financial Analyst (CFA).