Nach den ETFs: Bitcoin-Lending als nächster grosser Wachstumszweig für TradFi
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Pascal Hügli
Redaktor
Spätestens seit der Einführung der Bitcoin-ETFs in den USA sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass Bitcoin zunehmend in die traditionelle Finanzwelt integriert wird, was sich in einer stetig wachsenden Vielfalt an Bitcoin-fokussierten Produkten widerspiegeln sollte.
Ein Blick auf Bitcoin-freundliche und in der Kryptoadoption fortgeschrittene Jurisdiktionen wie die Schweiz lässt am ehesten erahnen, wohin die Reise gehen könnte. In der Schweiz bieten immer mehr Finanzinstitute Dienstleistungen in diesem Bereich an. Neben der Bereitstellung von Bank- und Kapitalkonten für Unternehmensgründungen und das operative Geschäft bieten verschiedene Banken mittlerweile auch Custody und Investment an. Neu hinzugekommen ist die Zürcher Kantonalbank.
Ob eigene Finanzprodukte auf Krypto-Assets, Self-Execution-Möglichkeiten, hochsichere Verwahrung durch ein persönliches, segregiertes Wallet für den Kunden oder ein Staking-Angebot für verschiedene Proof-of-Stake-Blockchains – Schweizer Banken sind weltweit führend in der Bereitstellung von Krypto-Dienstleistungen.
Bitcoin-Lending neu erfunden
Die Branche und die Banken selbst fragen sich derzeit, wo das nächste grosse Wachstumspotenzial für Finanzinstitute mit Bitcoin liegen könnte. Die Anzeichen deuten darauf hin, dass Bitcoin-Lending der nächste vielversprechende Bereich sein könnte – und das, obwohl sich die Krypto-Welt gerade erst von den Pleiten rund um BlockFi, Voyager oder auch Celsius im Jahr 2022 erholt hat.
Das jüngste Beispiel von Cantor Fitzgerald, einem weltweit führenden Finanzdienstleister, ist ein erster wichtiger Hinweis. Im Juli 2024 kündigte das milliardenschwere Unternehmen an, ein Bitcoin-Finanzierungsgeschäft aufzubauen. Dieses Bitcoin-Kreditgeschäft mit einem Volumen von USD 2 Milliarden wird es Anlegern ermöglichen, ihre Bitcoins als Sicherheit für Kredite zu verwenden.
Dieses Lending-Geschäft für Bitcoin ist ein wichtiger Schritt, zumal Cantor Fitzgerald immerhin einer der 24 Primary Dealers für den US-Staatsanleihenmarkt ist – also alles andere als ein kleiner Fisch. Damit zielt das Unternehmen darauf ab, Bitcoin zu helfen, sein volles Potenzial auszuschöpfen und die Lücke zwischen der traditionellen Finanzwelt und den digitalen Vermögenswerten weiter zu schliessen.
Neureiche Bitcoiner fragen nach
Die Entstehung solcher Kreditprodukte dürfte einmal mehr kundengetrieben sein. Die Tatsache, dass verschiedene Finanzinstitute es ihren Kunden heute ermöglichen, in Krypto-Assets zu investieren, ist letztlich auf den unermüdlichen Druck der Kunden zurückzuführen.
Aber wer wird diese Bitcoin-Lending-Produkte nutzen? Angesichts der Tatsache, dass die Marktkapitalisierung von Bitcoin mittlerweile USD 1 Billion übersteigt, gibt es eine beträchtliche Anzahl von Anlegern, die beträchtliche Vermögenswerte in Bitcoin halten. Und wenn der Bitcoin-Preis weiter steigt, werden der in Bitcoin gespeicherte Wert und die Zahl der wohlhabenden Bitcoin-Besitzer voraussichtlich weiter zunehmen.
Der kürzlich von Henley & Partners veröffentlichte «Crypto Wealth Report 2024» unterstreicht diese Entwicklung. Dem Bericht zufolge gibt es derzeit 85’400 Bitcoin-Millionäre, was einem Anstieg von 111% im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Zudem soll es weltweit 11 Bitcoin-Milliardäre und 28 Krypto-Milliardäre geben.
Natürlich können diese Zahlen nur Annäherungen sein, aber eines ist klar: Bitcoiner und Krypto-Enthusiasten besitzen immer grössere Vermögen. Auffällig ist, dass insbesondere Bitcoiner fest davon überzeugt sind, dass der in Bitcoins gespeicherte Wert in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Was für Aussenstehende wie Naivität, Verblendung oder reines Wunschdenken erscheinen mag, ist für überzeugte Bitcoiner nur eine Frage der Zeit und der fortschreitenden Adoption.
Bitcoin als Generationenvermögen
Aufgrund ihrer festen Überzeugung dürften sich immer mehr Bitcoin-Besitzer mit der Idee anfreunden können, ihre Bitcoins zu beleihen. So können überzeugte Bitcoiner ihre Bitcoins behalten (also weiterhin «hodln»), ohne sie verkaufen zu müssen, und sie später an ihre Nachkommen vererben. Durch die Verleihung haben sie jedoch schon heute die Möglichkeit, auf den in Bitcoins gespeicherten Wert zuzugreifen und einen Kredit in Fiatwährungen wie US-Dollar, Schweizer Franken oder Euro aufzunehmen.
Für Bitcoiner, die ihr Vermögen als Vermögen für mehrere Generationen betrachten, dürfte die Nachfrage nach Bitcoin-basierten Lombardkrediten oder Peer-to-Peer-Krediten, bei denen die Bank als Vermittler zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber auftritt, weiter steigen. Sollten die Bitcoiner Recht behalten und Bitcoins langfristig an Akzeptanz gewinnen, so dass der Bitcoin-Preis weiter steigt, könnte sich ein gut strukturierter Kredit sogar teilweise selbst amortisieren.
Für das Finanzinstitut, das diese Dienstleistung anbietet, hält sich das Risiko in Grenzen. So sind die ausstehenden Kredite mit Bitcoins vollständig überbesichert. Korrigiert sich der Bitcoin-Preis nach unten, kann die Kreditposition mit zusätzlichen Bitcoin-Besicherungen aufgestockt oder der Kredit teilweise zurückgezahlt werden. Andernfalls kann die Bank die hochliquiden Bitcoins jederzeit zum Marktpreis liquidieren.
Wer sind die Kreditgeber?
Eine berechtigte Frage ist, wer überhaupt als Kreditgeber auftreten möchte, da Fälle wie BlockFi und FTX das Vertrauen der Geldgeber in solche Dienste erheblich erschüttert haben. In diesem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass es sich bei diesen Angeboten um Custody-Dienste handelte, die zentralisiert und intransparent waren und eine riskante Weiterverpfändung der Bitcoin-Sicherheiten vornahmen, was zu einem erheblichen Klumpenrisiko führte.
Zukünftige Lösungen werden sich mit all diesen Problemen auseinandersetzen müssen. In erster Linie müssen diese Kreditinstitutionen nicht-kustodial sein und auf dem Konzept des Peer-to-Peer-Lending basieren, da nur so undurchsichtige Tranchen von Sicherheiten vermieden werden können.
Bereits heute gibt es technische Lösungen, die Banken und andere Finanzinstitute zu diesem Zweck integrieren können. Diese technischen Integrationen ermöglichen ein Multisignature-Setup für Bitcoin-gesicherte Kredite. Über eine sogenannte «3/4 Bitcoin Multisig» können die relevanten Zugangsschlüssel (Private Keys) global auf vier verschiedene Parteien verteilt werden. Um Bitcoins bewegen zu können, müssen drei dieser vier Schlüssel in Kombination verwendet werden. Auf diese Weise haben Kreditnehmer und Kreditgeber jederzeit volle Transparenz, wissen, wo sich ihre Bitcoins befinden und können sicherstellen, dass diese nicht verpfändet werden.
Nur wenn ein Bitcoin-Lending-Produkt diese Eigenschaften erfüllen kann, werden sich wohlhabende Bitcoiner als Kreditnehmer oder Kreditgeber darauf einlassen wollen. Finanzinstitute, die frühzeitig in solche Lösungen investieren, dürften einen erheblichen Vorteil haben.