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payoff Interviews

«Neue Technologien beeinflussen die Welt und unsere Lebensweise anders und schneller als bisherige Entwicklungen.»

02.05.2019 6 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Naveen Shamsudhin, Gründer und CTO bei The Origin AG sowie Mitglied im Advisory Board bei der Singularity Group, nimmt Stellung zu Forschung und Entwicklung im Bereich der Nanotechnologie.

Welche Rolle spielt die Nanotechnologie bei Innovation und neuen Technologien?
Nanotechnologie als solches war ursprünglich kein «Sektor», den wir zu den neuen Technologien zählten. Uns wurde jedoch klar, dass in vielen Bereichen die Nano-Ebene hochrelevant ist, z. B. in der Materialentwicklung für 3D-Druck-Anwendungen sowie in etlichen Bereichen in der Medizintechnik. Bei der Verbesserung der Rechenleistung wird in Computerchips im Nano-Bereich gearbeitet. Dies ist relevant in einigen Sektoren wie Blockchain, Virtuelle Realität, Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz.

Wie erklären Sie dem Laien den Begriff Nanotechnologie?
Nanotechnologie ist das Design, die Entwicklung und die Anwendung von Materialien und Geräten im Nanomassstab, das heisst Längenmassstäben zwischen 1 und 100
Nanometern (nm). Zum Vergleich sind die einzelnen Atome zwischen 0.1 und 0.5 nm gross, das HIV-Virus hat einen Durchmesser von 120 Nanometern, eine rote Blutzelle in Ihrem Körper einen Durchmesser von 7’000 nm und die Dicke eines Blattes Papier ist grösser als 100’000 nm! Es gibt viele Verbraucherprodukte, die wir im täglichen Leben verwenden, die Anwendungen der Nanotechnologie enthalten, wie z. B. UV-blockierende Nanopartikel in Sonnenschutzmitteln, Materialien
für Solarzellen zum Aufladen und Li-Ion-Akkutechnologie in Smartphones. Nanotechnologie findet auch zahlreiche Anwendungen in der Lebensmittelindustrie.

Wo wird heutzutage Nanotechnologie überall eingesetzt? Wie steht es mit Nanorobotik?
Fortschritte in der Nanophysik und der Nanofabrikation haben zur Miniaturisierung von Transistoren und Elektronik geführt, die das Moore’sche Gesetz befeuert und die
Rechenkapazität bei kleineren Bauelementen erhöht haben. Die Produktionskosten pro Bauelement wurden weiter verringert und die Energieeffizienz weiter verbessert.
Dies hat dazu geführt, dass Sensoren und Geräte im Bereich Internet der Dinge (IOT) eingesetzt und verbreitet wurden. Weitere Anwendungen von Nano-Materialien findet man in Solarzellen mit hohem Wirkungsgrad, Batterieentwicklung, in Wasserfiltern, Pharmazeutika und Chemikalien, in leichteren und stärkeren Materialien für Verteidigungs-, Automobil-, Industrieanwendungen sowie in neuen Geweben und Textilien.

Während die meisten Anwendungen der Nanotechnologie unbewegliche Materialien und Oberflächen sind, ist die grosse Frage, ob wir nanometer-grosse Maschinen herstellen können, die für sehr präzise Anwendungen wie Biopsie oder gezielte Wirkstoffabgabe in kleinen Kapillaren in unserem Körper verwendet werden können. In der Natur haben wir die schönsten Beispiele für Nanoroboter: die Bakterien. Sie können fühlen, Entscheidungen treffen und sich in ihrer Umgebung bewegen und ihre Energie durch Stoffwechselaktivitäten auffüllen. Ihre Bewegung wird von extrem kleinen Nanomotoren gesteuert. Wir machen
kleine Schritte in Richtung künstliche Nanoroboter. Der Nobelpreis für Chemie 2016 wurde für das Design und die Synthese molekularer Maschinen verliehen, deren Bewegung auf nanometrischer Ebene steuerbar ist.

Was sind die nächsten Meilensteine?
Vor dem Einbringen fortschrittlicher Nanomaterialien in Produkte oder auf den Markt gibt es mehrere Herausforderungen. Eine Schlüssel-Herausforderung ist die Biokompatibilität und Toxizität. Wir haben bereits in den letzten Jahren die Umweltherausforderung und Verschärfung der Vorschriften gegen Mikroplastik erlebt.

Eines der Ziele von The Singularity Group ist, neue Technologien und deren Wertgenerierung in Unternehmen zu identifizieren. Welche aktuellen Ansätze in der Nanotechnologie und der Nanorobotik können demnächst in praktische Anwendungen einfliessen und in welchen Bereichen stecken sie erst in den Anfängen?
Wir gehen davon aus, dass der nächste grosse Schritt im Bereich der EUV-Technologie stattfinden wird. Es geht dabei um die Herstellung von kleineren und effizienteren Schaltkreisen in der Halbleiterindustrie mittels elektromagnetischer Strahlung. Die Strahlung nutzt sogenannte kleine Wellenlängen oder anders ausgedrückt extrem ultraviolette Strahlung (EUV, extreme ultra violet). Die Firma ASML plant für das Jahr 2019 die Auslieferung von 30 solcher Maschinen. In den Anfängen steckt die Forschung in der Verwendung von Perovskite in Solarzellen. Dies soll die Effizienz deutlich steigern, wie bereits erste Versuche gezeigt haben. Welche Industrien und Sektoren werden zurzeit stark durch Nanotechnologie verändert und verbessert? Wie kann man dies identifizieren? Was unsere Sektoren betrifft, so würde ich sagen, dass die nächsten Fortschritte im 3D-Druck-Bereich aus der Nanotechnologie und damit verbundenen Materialwissenschaften
stammen. Dieser Bereich nennt sich in der Industrie «Advanced Materials». Bei der Herstellung 3D-gedruckter Produkte sind oft die Eigenschaften des zu druckenden Materials problematisch beim Pump-Prozess. Dies kann umgangen werden, indem neue Strukturen entwickelt werden. Dabei kommt Künstliche Intelligenz und Big Data wiederum ins Spiel: Aus bekannten Materialien und deren Eigenschaften, kann man so schneller neue Kombinationen entwickeln mit Zieleigenschaften, die für 3D-Druck angemessener sind.

«In der Natur haben wir die schönsten Beispiele für Nanoroboter, die Bakterien.»

The Singularity Group arbeitet mit einem Experten Team anstelle von Analysten. Wieso sollte sich dieser Ansatz bewähren?

Neue Technologien beeinflussen die Welt und unsere Lebensweise anders und schneller als bisherige Entwicklungen. Für Analysten, die hauptsächlich die Reports und Pressemitteilungen als Informationsquelle nutzen und sich vor allem mit dem Management und Finanzen beschäftigen, ist es daher schwierig, wirklich Einblicke in diese Veränderungen zu haben. Sie sind schlichtweg zu weit weg vom Ort des Geschehens. Experten befassen sich hingegen tagtäglich mit der Materie und mit der Implementierung. Sie können uns besser aufzeigen, wie neue Technologien das alte System beeinflussen, wie nahe am Umbruch oder wie weit davon entfernt man ist. Sie helfen uns, die euphorischen Pressemitteilungen besser einzuordnen. Die Realität sieht oft weniger «sexy» aus – das heisst aber nicht, dass man nicht trotzdem Wert generieren kann.

Der Singularity Fonds ist live seit dem 1. Oktober 2018. Wie war der Beitrag des Sektors Nanotechnologie in Bezug auf die Entwicklung seit Lancierung?
Nanotechnologie macht zurzeit nur 4% des Portfolios aus. Die Performance ist mit +8.7% seit Lancierung Anfang Oktober 2018 stark und übertrifft somit die des Fonds selbst.

 

Herzlichen Dank!

 

VITA

Naveen Shamsudhin ist Gründer und CTO der Origin AG und entwickelt transformative Technologien, um die individuelle Selbstreflexion und Kreativität zu fördern. Er ist Dozent für Robotik an der ETH Zürich, verbunden mit dem Multi-Scale Robotics Lab. Darüber hinaus ist er Technikhistoriker und mit der Techno-Kulturgeschichte und der Entwicklung von Robotik und Automatisierung bestens vertraut. Er ist Referent zu bereichsübergreifenden Themen von Technologie und Gesellschaft. Naveen Shamsudhin besitzt einen Ph.D. und M.Sc. der ETH Zürich, Schweiz, und einen B.Tech des National Institute of Technology Tiruchirappalli, Indien. Für seine Doktorarbeit und sein Doktoratsstudium hat er den Prix OMEGA scientifique und das Schweizer Bundes-Exzellenz-Stipendium erhalten. Er ist Gemeinschaftsbildner und engagiert sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technik, Kunst, Kultur und Gesellschaft. Naveen ist Mitglied des Expertenbeirats bei The Singularity Group, einem Schweizer Anlageberater im Bereich Innovation und exponentielle Technologien.

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