Psychologie in Finanzmärkten: Trading mit gutem Gefühl
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Martin Diethelm
Nach dem aktuellen Aktiencrash fragen sich viele Anleger: Was treibt Börsenkurse? Fundamentale Faktoren oder reine Psychologie? Unbestritten ist, dass Marktteilnehmer nicht immer rational agieren. Lesen Sie, wie sich Anleger am Besten verhalten sollten.
Nachteile traditioneller Analyseverfahren
Traditionellerweise werden Finanzinstrumente wie Aktien mithilfe der Fundamentalanalyse bewertet. Durch die Schätzung von zukünftigen Gewinnen kann der Wert einer Firma berechnet und daraus ein fairer Aktienkurs abgeleitet werden. Dieser Ansatz ist aufwendig und die Unsicherheit der geschätzten Parameterwerte gross. Je kleiner prognostizierte Zeiträume allerdings sind, desto grösser ist der Einfluss von unvorhersehbaren Faktoren, welchen Finanzmärkte zeitlich begrenzt unterworfen sind. Beispielsweise sind die Börsen nach dem Erdbeben von Japan einige Tage stark eingebrochen, haben sich aber danach wieder erholt. So zeigt sich aber beispielsweise auch, dass im Jahr 2010 in Mitten der damaligen «Double-Dip»-Diskussionen und den ersten Anzeichen der EU-Schuldenproblematik die Aktienkurse beim EuroStoxx 50 und S&P 500 Index litten, die operative Marge der Unternehmen aber nüchtern gestiegen ist (siehe Abb. 1). Gegenwärtig – wenige Tage nach dem Aktiencrash – ist die Situation noch bizarrer: Die Massen werfen ihre Aktienbestände auf den Markt, die Firmen verdienen aber nach wie vor gutes Geld.
Anlageentscheid zwischen Kopf und Bauch
Zusätzlich zu Irrationalität und Zufällen kommt oft die Selbstüberschätzung ins Spiel. Eine langfristige Geldanlage zur finanziellen Vorsorge, z. B. für das Pensionsalter, ist eine zu ernste Angelegenheit, um nach Gutdünken oder Zufallsprinzip vorzugehen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die grosse Mehrheit der Anleger sich in der Kompetenz zur Geldanlage überschätzt – professionelle Anleger mit eingeschlossen. Das bekannte Paradox, dass weit über 50% der Autofahrer sich als überdurchschnittlich gute Lenker einschätzen, aber per Definition genau die Hälfte unterdurchschnittlich begabt sein muss, lässt sich auf die Finanzmärkte übertragen. Doch wer gehört zur «besseren» Hälfte? Genauso wenig, wie man erkennen kann, ob ein Fahrer durch Können oder Glück unfallfrei bleibt, lässt sich auch die Performance an den Aktienmärkten nur schwer dem Talent oder dem Wohlwollen der Fortuna zuordnen. Aus diesen Gründen ist der Wunsch gross, die Qualität von Anlagestrategien testen zu können und somit auf rationale Kriterien anstelle von vagen Bauchgefühlen zu bauen.
Starre Regeln statt Bauchgefühl
Hier kommen regelbasierte Anlagesysteme zum Zuge: Portfolios werden nach klar definierten und unveränderbaren Algorithmen umgeschichtet. Bekannt sind Strategien, welche in Aktien mit den tiefsten Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) investieren. Diese gelten allgemein als tief bewertet; Der Marktwert kann in vergleichsweise kurzer Zeit durch die Gewinne amortisiert werden. Alternativ wird oft auch das Kurswert-Buchwert-Verhältnis (KBV) verwendet. Das Argument hier ist, dass das Risiko eines Kursrückganges bei einem niedrigen KBV klein ist, weil ein Grossteil des Marktwertes durch «stabile» Vermögenswerte wie Land oder Maschinen gedeckt sind und ein relativ kleiner Teil auf zukünftigen Erwartungen basiert, welche evtl. nicht eintreffen. Obwohl die Strategien in Tests gut abschneiden, haben sie auch gewisse Tücken: Firmen mit vorsichtigen Buchhaltungsrichtlinien publizieren oft tiefe Gewinne, was fälschlicherweise zu unattraktiven KGVs führt. Zudem sind beide Kennzahlen stark branchenabhängig. Investoren sollten daher innerhalb von Sektoren nüchtern nach Kennzahlen wie dem KGV sortieren, im Quervergleich mit branchenfremden Unternehmen (z.B. Baubranche vs. IT-Branche) gilt es aber zu relativieren.
Unbegrenzte Möglichkeiten
Die Idee solcher statistischer Systeme kann beliebig ausgeweitet werden: So basieren andere Algorithmen auf der Firmengrösse, Dividendenausschüttungen, Dividendenwachstum oder Vergleichen innerhalb der Branche. Die entsprechenden Kennzahlen können aus Bilanzen der Firmen erstellt werden. Diese Informationen liegen in Datenbanken (z. B. Bloomberg oder Datastream) elektronisch vor und können mit relativ kleinem Aufwand automatisiert ausgewertet und damit die Portfolios gebildet werden. Theoretisch kann eine Vielzahl von verschiedenen Systemen berechnet, in der Vergangenheit getestet und die besten davon für die zukünftige Portfoliobildung verwendet werden. Ein blindes Vertrauen ist allerdings nicht angebracht: Die meisten Kennzahlen sind nur in der Vergangenheit verfügbar (z. B. der Gewinn vom letzten Jahr) und die Zahlen können stark schwanken.
Die Quintessenz für Anleger…
Als Spieler am Kapitalmarkt – egal ob Privatanleger oder Profi-Trader – sollte einem bewusst sein, dass der Einfluss der Psychologie an Börsen gross und allgegenwärtig ist. Es hat sich sogar innerhalb der Finanzwissenschaften ein eigenes Forschungsgebiet gebildet: Die «Behavioural Finance» befasst sich mit der Irrationalität an den Finanzmärkten. Ihre Ergebnisse werden gerne von Anhängern der technischen Analyse als deren wissenschaftliche Legitimation angeführt. Die technische Analyse basiert Prognosen ausschliesslich auf vergangenen Kursbewegungen und lässt fundamentale Faktoren vollständig beiseite. Allerdings sind die Wissenschaftler selbst nicht immer glücklich über diese Verbindung, weil die technische Analyse oft sehr pragmatisch und nicht wissenschaftlich fundiert angewendet wird und teilweise bis ins Esoterische geht.
…lautet scharf zu analysieren
Die Kunst für Anleger ist nun, herauszufinden, wann Irrationalität besteht. Bei grossen, schnellen Abstürzen rennen die verängstigten Anleger sofort nach und verkaufen panikartig. Umso wahrscheinlicher werden Rebounds, wenn die Stimmung wieder dreht, wie z.B. im Dax im Januar 2008 oder beim Sell-Off des Dollars Mitte August (siehe Abb. 2). Mit den richtigen Produkten kann in Rebound-Phasen sehr viel verdient werden. Aus der Erfahrung sind Produkte mit gewisser Hebelwirkung und ausreichendem Abstand zu möglichen Barrieren bzw. Knock-Outs zu präferieren. Denn in genau diesen Situationen könnte man «zu früh» eine Position aufgebaut haben. Es ist daher im Zweifel ratsam in hektischen Marktphasen auf KO-Produkte zu verzichten. Die Gefahr des Totalverlusts ist sonst zu dominant, auch wenn man mit der Einschätzung, dass die Kursbewegung «übertrieben» ist, mittelfristig doch richtig liegt.