Rätselhafte Preisbildung bei Silber
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Dieter Haas
Wann immer Daniel Shak etwas in Edelmetallen handelt, dauert es nicht lange und seine Investments erobern die Schlagzeilen. Shak ist passionierter Pokerspieler, Hedge Fonds Manager und Futures-Trader in persona. Sein jüngster Coup: Ein New Yorker Berufungsgericht entschied, dass seine Klage gegen JPMorgan Chase & Co. wegen Kartellabsprachen im Jahr 2010 und 2011 bei Silber nicht abgewiesen werden darf. Der Prozess beginnt nun also von vorn – fast schon perfekter Stoff für einen Krimi. Shak hatte mit Silber-Derivaten nach rätselhaften Preisbewegungen an der Rohstoffbörse COMEX massiv Geld verloren. Er und seine Mitkläger führen an, dass am Preis geschraubt wurde. Diesen Vorwurf gilt es nun seitens der Investmentbank zu entkräften. Finanzpresse und Silber-Investoren sind entsprechend hellhörig geworden.
Was ist los beim Silberpreis?
Die Preisentwicklung bei Silber seit Mai 2011 ist zermürbend und hat dazu geführt, dass viele Anleger aus dem Markt vertrieben wurden. Die unerwartete Hausse im ersten Halbjahr 2016 bis nach dem Brexit brachte für die gebeutelten und standhaften Silberinvestoren zwar etwas Linderung, mehr aber nicht. Demgegenüber erzielen Kryptowährungen wie Bitcoin fast täglich neue Rekordstände. Sie laufen derzeit den Edelmetallen Gold und Silber mit Währungsersatzcharakter klar den Rang ab. Dabei präsentiert sich das monetäre Umfeld im Grunde genommen vorteilhaft: Während die Notenbanken die Papiergeldmenge von Jahr zu Jahr kräftig erhöhen, nimmt das Angebot bei Silber nur minimal zu (siehe Tabelle 1). Zudem besteht seit Längerem eine wachsende Nachfrage vonseiten der Investoren, abzulesen am steigenden Bestand der Silber-ETFs. All dies spräche eigentlich für steigende Preisnotierungen. In Tat und Wahrheit krebst Silber jedoch nach wie vor um Niveaus herum, die bereits im Herbst 2009 erreicht wurden.
«Dem US-Dollar kommt als Katalysator eine Schlüsselposition zu.»
Diskrepanz zwischen Angebotsknappheit und Preisentwicklung
Dieses Rätsel der Preisentwicklung bei Silber hat in der Vergangenheit etliche Verschwörungstheorien hervorgebracht. Experten wie der US-Silberguru Ted Butler u.a. sprachen offen von manipulativem Vorgehen gewisser Banken über die Terminbörse Comex. So zeigten die wöchentlichen Statistiken der Commodity Futures Trading Commission bei Silber einen steten Short Sales-Überhang bei den Commercials in einem Ausmass, der weit über den physischen Bestand an der Comex hinausgeht. Die Short Sales nehmen bei steigenden Kursnotierungen regelmässig zu, bis es anschliessend, in der Regel in Zeiten geringer Handelstätigkeit, zu plötzlich anschwellenden Verkaufsorders kommt, mit negativen Folgen beim Silberpreis. Dieser bricht daraufhin ohne erkenntlichen Grund massiv ein. Ein Indiz für die unnatürliche, fundamentaler Analyse zuwiderlaufende Entwicklung ist sowohl der Intra-Day-Kursverlauf von Silber wie auch von Gold. Deren Muster ist mehr als verdächtig (http://bit.ly/2jlVdLY).
Erste offzielle Bestätigung der Kursmanipulationen
Die als Verschwörungstheoretiker abgestempelten Experten haben jüngst eine erste Bestätigung ihrer Vermutungen erhalten. So gestand David Liew, ein ehemaliger Händler der Deutschen Bank, dass er dort gelernt habe, wie man am Terminmarkt die Edelmetallpreise manipuliert. Händler anderer grosser Banken hätten eine ähnliche Verhaltensweise an den Tag gelegt. Der Händler bediente sich, wie er vor einem US-Gericht gestand, des «Spoofing» und des «Front-Running». Beim «Spoofing» platzieren Trader Aufträge zum Kauf oder Verkauf von Terminkontrakten, ohne dass sie vorhaben, diese Aufträge später auch auszuführen. Einziges Ziel der Aufträge ist die Preismanipulation. Beim «Front-Running» kommen Trader den eigenen Kunden zuvor und machen so einen Gewinn auf deren Kosten. Es ist das erste Mal, dass die U.S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC) eine Anklage wegen Kursmanipulationen von Gold und Silber erhoben hat (http://bit.ly/2u6qpQQ). Die Handlungen von David Liew fielen notabene in den fünfjährigen Zeitraum, in dem die CFTC einst auf Druck von aussen Manipulationsvorwürfe untersuchte und diese in ihrem damaligen Abschlussbericht als nicht relevant eingestuft hat.
Massiver Lageraufbau von J.P. Morgan
J.P. Morgan, die 2008 Bear Stearns retten musste, welche sich u.a. bei Silber verspekulierte, hält seit dieser Zeit eine führende Rolle im Terminhandel. Dabei hatte die grösste Bank der USA bis 2012 keinerlei Lagerbestände aufzuweisen. Erst im Juli 2011 begann sie ein solches anzulegen. Das wurde in der Zwischenzeit stetig geäufnet. Mittlerweile besitzt J.P. Morgan mehr als die Hälfte des gesamten Silberbestands der COMEX. Was das Finanzhaus damit bezweckt, ist schleierhaft. Entweder sollen damit anstehende Verpflichtungen von dritter Seite abgedeckt werden oder, was wahrscheinlicher ist, die Bank äufnet das weisse Metall für Eigenzwecke, da sie mittel- bis längerfristig mit einem massiven Preisanstieg rechnet.
«Mittlerweile besitzt J.P. Morgan mehr als die Hälfte des gesamten Silberbestands der Comex.»
Der Vorteil der Kryptowährungen
Bitcoin und etliche andere Kryptowährungen wie Ethereum (http://bit.ly/2s9t8rC) oder Litecoin (http://bit.ly/2u6GwOi) befinden sich seit Monaten im Steigflug. Sie profitieren davon, dass es bei ihnen im Gegensatz zu den Edelmetallen keinen Terminhandel gibt, der den Aufwärtstrend blockieren kann. Die steigende Nachfrage kann daher nicht künstlich eingebremst werden. Es scheint allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die als einzige Anlageklasse unterbewerteten Rohstoffe im Allgemeinen und die Edelmetalle im Speziellen nachziehen werden. Spätestens beim Auftreten Auftreten akuter Angebotsengpässe werden preisdrückende Vorgehen via Terminhandel obsolet. Erste Anzeichen sind bei den Edelmetallen bereits erkennbar. So befindet sich das in erster Linie industriell genutzte, immer knapper werdende Palladium seit Januar 2016 in einem Aufwärtstrend und nähert sich allmählich seinem Allzeit-Hoch vom Januar 2001.
Die Rolle des US-Dollars und der Notenbanken
Dem US-Dollar kommt als Katalysator eine Schlüsselposition zu. Steigt er, wie es seit August 2011 mehrheitlich der Fall war, dann wirkt sich dies für die Edelmetalle im Allgemeinen negativ aus. Mittlerweile scheint das Ende der Fahnenstange erreicht. Die neue US-Regierung hat sich verschiedentlich negativ gegenüber Ländern mit einem hohen Handelsüberschuss geäussert (Stichwort: «America first»). Konkret wurde ihnen unterstellt, sich über tiefe Wechselkurse Vorteile zu verschaffen. Nach vier Leitzinserhöhungen der US-Notenbank geht der US-Wirtschaft zunehmend die Puste aus. Inzwischen rechnet der Markt nur noch mit einer weiteren Erhöhung. Sollten sich die Abschwächungstendenzen der US-Wirtschaft verstärken, könnte eine solche sogar gänzlich ausfallen. Das würde zu einer Akzentuierung der aktuellen Schwäche des US-Dollars führen und gleichzeitig den Startschuss für deutlich höhere Edelmetallpreise bedeuten.
Die Charttechnik könnte beim Ausbruch vom Silberpreis helfen
Silber, dessen Produktion in 2016 im Vergleich zum Vorjahr erstmals seit 14 Jahren rückläufig war und das gemäss Studien u.a. der EU zu den 14 seltenen wichtigen Metallen für die Elektro- und Elektronikindustrie zählt, sieht in den kommenden Jahren rosigen Zeiten entgegen. Ein untrügliches Indiz für eine drohende physische Knappheit wäre eine Versteifung der Verleihzinsen, wie jüngst bei Palladium. Im Falle von Silber zeigt der Trend seit Januar 2015 nach oben, auch wenn das Niveau noch keine unmittelbare Gefahr signalisiert. Die Zeiten der Preisdrückung nähern sich ihrem Ende. Markttechnisch betrachtet müsste das weisse Metall den Schlüsselwiderstand bei USD 21-22 per Unze überwinden und anschliessend über der Marke von USD 26 eine Basis ausbilden, damit die bestehenden Zweifel unter den Anlegern ausgeräumt werden und sich die fundamentalen Fakten endlich beginnen, im Preis widerzuspiegeln. Mit Verzögerung dürfte sich über kurz oder lang ein Aufwärtstrend ausbilden. Dieser könnte sich im weiteren Verlauf im Stile der Kursentwicklung bei den Kryptowährungen akzentuieren. Die Leasing-Raten beim Silber sind bereits angesprungen (siehe Chart). Nicht weniger spannend wird der Prozessausgang von Daniel Shak vs. J.P. Morgan – lang lebe das «Silberkartell».