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payoff Learning Curve

Rating: Benotung mit viel Strahlkraft

07.12.2023 4 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Seit mehr als 100 Jahren beurteilen spezielle Agenturen die Kreditwürdigkeit von Banken, Unternehmen und öffentlicher Hand. Die dabei verteilten Ratings spielen auch am Markt für Strukturierte Produkte eine wichtige Rolle.

Gütesiegel haben Konjunktur. Es gibt kaum noch einen Lebensbereich, in dem die verschiedenen Labels nicht kursieren. Der Qualitätsnachweis für Butter gehört ebenso dazu wie die Bewertung von Möbeln, Ferienorten oder gar Friedhöfen. Der Gütesiegel-Boom macht natürlich auch vor der Finanzbranche nicht halt. Immer öfter werden Banken, Online-Broker und Fondsgesellschaften unter die Lupe genommen und mit einem Rating versehen. Lange vor der Bewertungswelle – auch und gerade im Internet – gab es das klassische Finanzrating. Bereits um 1900 wurden in den USA die ersten Ratingagenturen gegründet. Bis dahin war es Aufgabe der Banken selbst, die allgemeine Bonität bzw. Kreditwürdigkeit von Kapitalnehmern zu beurteilen.

Als immer mehr Anleger direkt in Aktien oder Obligationen investierten, entstand die unabhängige Risikokontrolle in Form von Ratingagenturen. Diese prüften zunächst die Finanzkraft von Eisenbahnunternehmen. Später kamen Analysen für Industrie- und Versorgungsunternehmen sowie für die öffentliche Hand hinzu. Mit der Globalisierung und Liberalisierung der Weltmärkte und Finanzströme stieg der Bedarf an Ratings in den 1970er-Jahren nochmals deutlich an. Heute ist Standard & Poor’s (S&P) der führende Anbieter. Das US-Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben rund 1.’500 Kreditanalysten. Insgesamt sind mehr als eine Million S&P-Ratings im Umlauf. Daraus ergibt sich ein geratetes Kapital von über 46 Billionen USD.

Ein umstrittenes Oligopol

Zusammen mit Moody’s und Fitch bildet S&P die «Big Three». Der Marktanteil des Trios wird auf über 90% geschätzt. Diese oligopolistische Struktur wird immer wieder kritisiert. Vor allem während der Finanzkrise 2008/2009 mussten die drei US-Häuser viel Kritik einstecken. Die Tatsache, dass ein Rating vom bewerteten Schuldner bezahlt wird und die Agenturen die Missstände auf dem Markt für Immobilienverbriefungen lange nicht erkannt hatten, löste einen regelrechten «Shitstorm» aus. An der Vormachtstellung der «Big Three» hat sich jedoch kaum etwas geändert. Wer heute im grossen Stil Fremdkapital aufnehmen will, kommt an ihnen kaum vorbei.

Dies gilt auch für die Anbieter von Strukturierten Produkten. Bei diesen Anlagevehikeln handelt es sich im Prinzip um Schuldverschreibungen. Insofern holt sich der Investor mit jedem Strukturierten Produkt ein Ausfallrisiko ins Portfolio. «Deshalb sollte für alle Anleger die Bonität der Emittentin bzw. des Sicherungsgebers bei der Auswahl eines Strukturierten Produkts eine wichtige Rolle spielen», erklärt die Swiss Structured Products Association SSPA auf ihrer Website.

Breites Notenspektrum

Um mit diesen Informationen etwas anfangen zu können, muss man das Ratingsystem der Agenturen kennen. Im Allgemeinen werden die Ratings in «Investmentbereich» und «Spekulativer Bereich» unterteilt. Im Investmentbereich reichen die Ratings vom bekannten «Triple A» (AAA) – solche Schuldner gelten als sehr sicher – bis zur mittleren Bonität, dem oberen B-Bereich. Im spekulativen Bereich reicht das Rating von BB+ (S&P) bis D bzw. C. In die unterste Kategorie fällt ein Schuldner, sobald er in Zahlungsverzug gerät oder Insolvenz angemeldet hat.

Eine wichtige Spanne

Wenig überraschend rückte das Thema Bonität mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers vor gut 15 Jahren in den Fokus des Struki-Marktes. Die Pleite der US-Bank traf selbst Anleger, die kapitalgeschützte Produkte gekauft hatten. Nach diesem verlustreichen Zahlungsausfall wurden nicht nur die Ratings genauer unter die Lupe genommen. Mit dem neuen Bewusstsein für das Emittentenrisiko interessierten sich die Anleger auch für die sogenannten Credit Spreads. Sie geben den Risikoaufschlag an, den ein bestimmter Schuldner gegenüber dem risikolosen Zins zahlen muss. «Credit Spreads können noch präzisere Informationen über die Bonität eines Emittenten liefern», erklärt die SSPA. Während sich ein Rating auf die langfristigen Perspektiven des bewerteten Schuldners bezieht, fliessen hier auch kurzfristige Risiken oder Veränderungen ein. Als Faustformel gilt: Ein tiefer Credit Spread spricht für eine hohe Bonität, ein grösserer Spread mahnt zur Vorsicht.

Das Rating hat naturgemäss Auswirkungen auf die Preisgestaltung von Strukturierten Produkten. Ein klassischer Fall ist das Kapitalschutz-Zertifikat: Hier verwendet der Emittent eine Nullkupon-Anleihe, deren Zins bereits bei Emission in Form eines Abschlags auf den Nennwert fällig wird. Je höher der Coupon, desto attraktivere Konditionen kann das strukturierte Produkt aufweisen. Folglich können Emittenten mit einem schwächeren Rating lukrativere Anlagen anbieten. Geschenkt wird aber nichts: Für den skizzierten Vorteil nimmt der Anleger ein höheres Emittentenrisiko in Kauf.

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