Zurück
payoff Learning Curve

Ratingagenturen – Scharfrichter unter Beschuss

03.06.2010 4 Min.
  • Martin Diethelm

Bahnt sich eine wirtschaftliche Krise an, kommen auch die Ratingagenturen regelmässig in die Kritik. Unseriöse Analysen, Interessenkonflikte und eine mangelnde Wahrnehmung ihrer Verantwortung werden ihnen vorgeworfen. Tatsächlich sind objektive Ratings ebenso wichtig wie illusorisch. Andererseits dienen die Agenturen oft als Sack, der geschlagen wird, weil der Esel sich nur ungern selbst blossstellt.

Macht und Filz

Wird die Bonität einer Firma herabgestuft, können damit Investoren gezwungen werden, Wertschriften dieser Unternehmung abzustossen, damit ihre Anlagerichtlinien nicht verletzt werden. Dadurch kann eine Abwärtsspirale entstehen, weil durch den Verkaufsdruck die Kapitalaufnahme der Firmen erschwert wird und damit weitere Herabstufungen provoziert werden können. Kredite können mit speziellen Klauseln gesichert sein und bei einer Herabstufung z. B. sofort fällig werden oder die Konditionen verändern. Dennoch haben die bewerteten Firmen eine gewisse Macht gegenüber den Ratingagenturen: Letztere sind gewinnorientierte, private Unternehmen, die auf die Aufträge ihrer Kunden angewiesen sind. So wird den Agenturen oft mangelnde Objektivität bzw. die Erstellung positiv verzerrter Analysen vorgeworfen, um die Kunden nicht zu verärgern und die Mandate nicht zu verlieren. Zudem haben die Eigentümer der Ratinggesellschaften Partikulärinteressen. Z. B. wird die Investmentgesellschaft von Warren Buffet, Berkshire Hathaway, von Moody’s geratet, dessen grösster Aktionär wiederum Berkshire Hathaway ist. Standard&Poor’s gehört zum McGraw-Hill Konzern, welcher sich im Streubesitz befindet und vor allem Investmentgesellschaften und Banken als Aktionariat hat. Fitch Ratings gehört der Französischen Fimalac, die von einem einzigen Privatinvestor dominiert wird und somit im Bezug auf das Eigentum am unabhängigsten der drei scheint. Eine objektive Bewertung soll durch standardisierte Modelle erzielt werden, wobei deren Funktionsweisen nicht oder nur unzureichend offen gelegt sind und die Datenquelle wiederum die bewertete Firma selbst ist, welche die Agenturen selektiv mit Informationen versorgen kann. Damit ist eine Analyse für Aussenstehende weder nachvollziehbar noch überprüfbar.

Das Kerbholz der Ratingagenturen…

Ratingagenturen wird oft vorgeworfen, sie agierten im Nachhinein und wiesen erst dann auf Gefahren hin, wenn sie schon längst bekannt sind. So hatte Enron vier Tage vor dem Bankrott immer noch ein «Investment Grade», obwohl die Agenturen von den Problemen der Firma gewusst haben. Ebenfalls unrühmlich war die Rolle der Ratingagenturen bei der Bewertung von Strukturierten Produkten basierend auf forderungsbesicherten Wertpapieren (Collaterized Debt Obligations, CDOs) in der Krise ab 2007. Produkte wurden mit fehlerhaften Modellen bewertet, sodass durch eine geschickte Kombination von minderwertigen Wertpapieren scheinbar sehr sichere Derivate entstanden.

… und was nicht darauf gehört

Die allgemeine Kritik schiesst allerdings oft übers Ziel hinaus: Die Aufgabe von Ratingagenturen ist es nicht, vage Einschätzungen über die Zukunft einer Firma zu machen, sondern eine emotionslose Analyse basierend auf harten Fakten zu erstellen, welche oft erst relativ spät erhältlich sind. Eine aktuelle Marktmeinung über das Befinden einer Unternehmung sollte weniger von einer Ratingagentur als von den Märkten selbst bezogen werden: Aus den geforderten Renditen von Obligationen sowie Credit Default Swaps (CDS), welche Versicherungen gegen den Ausfall einer Obligation sind, lässt sich ablesen, wie der Markt die Gesundheit der Firma einschätzt. Dass die Kreditwürdigkeit Griechenlands von den Ratingagenturen massiv zurückgestuft wurde, ist, nüchtern betrachtet, keine Provokation, sondern die Bestätigung einer Einschätzung, die von den Märkten schon längstens vorgenommen wurde. Eine Tabelle mit Länder- und Bankenratings (sowie den entsprechenden Credit Spreads) wird vom payoff Magazine monatlich veröffentlicht.

Ruf nach dem Staat

Um die Macht der drei Agenturen einzudämmen und deren Interessenkonflikten beizukommen, werden vermehrt (über-)staatliche Ratingagenturen gefordert. Was die Bewertung von besagten Strukturierten Produkten betrifft, hätten staatliche Agenturen möglicherweise bessere Analysen geboten, das strukturelle Problem der Hypothekenblase, welche nicht zuletzt durch staatliche Eingriffe verursacht wurde, wäre damit allerdings nicht gelöst worden. Kritiker befürchten denn auch den Aufbau eines neuen gewaltigen Verwaltungsapparates, welcher jegliche wirtschaftliche Innovation im Keim erstickt und wenn möglich noch eng mit den Steuerbehörden zusammenarbeitet. Zudem dürfte mit Spannung erwartet werden, was herauskommen würde, wenn sich Staaten selbst oder gegenseitig bewerten. Erfahrung dieser Art hat man bereits mit der Berechnung der Maastricht-Kriterien gemacht. 

Bewertungen von Ratingagenturen dürfen nie als die absolute Wahrheit angeschaut werden, sondern dienen als Richtlinie und müssen im Kontext von aktuellen Nachrichten und in Verbindung mit dem entsprechenden Credit Spread interpretiert werden.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken