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payoff Learning Curve

Short-Investments – Gewinnen, wenn die Kurse fallen

15.07.2022 7 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Im ersten Semester 2022 mussten Anleger schmerzhaft erfahren, dass es an der Börse nicht nur in eine Richtung geht – die Aktienmärkte gaben deutlich nach. Mit Short-Produkten lässt sich gezielt auf fallende Notierungen setzen oder das Portfolio gegen Abwärtsrisiken absichern.

Er ist zwar weniger prominent als Warren Buffett, Jim Rogers oder George Soros. Gleichwohl zählt Ray Dalio zu den Superstars der Investmentszene. 1975 hat er in seinem New Yorker Zwei-Zimmer-Apartment Bridgewater Associats gegründet. In den seither vergangenen knapp fünf Jahrzehnten entstand aus dieser Idee der grösste Hedgefonds der Welt. Bridgewater verwaltet rund USD 150 Mrd. Ray Dalio ist immer noch als Co-Chief Investment Officer aktiv und gehört dem Verwaltungsrat an. Weltweit spitzen Investoren, Strategen und Analysten die Ohren, sobald sich der 72-jährige zu Wort meldet.

Zuletzt war Dalio mit einer Short-Wette in den Börsenschlagzeilen vertreten. Bridgewaters setzt im grossen Stil auf fallende Kurse bei europäischen Large Caps. Innert einer Woche hat der Hedgefonds dabei seinen Einsatz auf USD 10.5 Mrd. nahezu verdoppelt. Annähernd 30 Werte soll das Management leer verkauft haben. Dazu zählen beispielsweise der niederländische Chipausrüster ASML, der Ölmulti TotalEnergies und das Pharmaunternehmen Sanofi aus Frankreich oder der DAX-Technologieriese SAP. Während diese Information aus den Offenlegungspflichten des Fonds resultieren, äussert sich Bridgewaters nicht zu den Motiven der Short-Investments. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass Ray Dalio und seine Kollegen ein düsteres Gesamtbild zeichnen. Co-Investmentchef Greg Jensen gab kürzlich ein Interview auf Bloomberg TV. Darin bezeichnete er den bisherigen Abverkauf bei Aktien, angesichts der Rallye der vergangenen zehn Jahre, als gering. Seiner Ansicht nach sind sowohl in Europa als auch in den USA noch starke Marktbewegungen möglich.

«Dabei nutzen die US-Amerikaner die Möglichkeit des Leer-Verkaufs.»

Hochspekulative Strategie

Bridgewaters gesellt sich also in das Lager der Bären und versucht mit Short-Investments, Profit aus weiter fallenden Kursen zu schlagen. Dabei nutzen die US-Amerikaner die Möglichkeit des Leer-Verkaufs. Sie stossen Aktien ab, die nicht in ihrem Portfolio liegen. Auf eben diesen Umstand geht der Begriff «Short», der im englischen für «Knappheit» oder «Mangel» steht, zurück. Um verkaufen zu können, geht der Leerverkäufer eine Leihe ein: Er borgt sich Papiere bei anderen institutionellen Investoren und stellt sie anschliessend auf die Briefseite respektive stösst sie ab. Fällt der Kurs wie erhofft, wird die Aktie günstiger wieder gekauft und an den Verleiher, dieser erhält in jedem Fall eine Gebühr, zurückgegeben. Hierbei handelt es sich um eine hochspekulative Strategie. Schliesslich laufen Verluste auf, sobald die leerverkaufte Aktie nach oben geht. Mitunter kommt es dann zum «Short-Squeeze». Leerverkäufer, die falsch lagen, sorgen dabei mit ihren intensiven Käufen für stark steigende Kurse.

Bullishes Grundsentiment

Auf die Short-Seite können sich Anleger auch stellen, ohne die skizzierte Leihe einzugehen. Eine einfache Alternative bietet der Markt für strukturierte Produkte. Hier werden die Bären vor allem im Segment der Hebelpapiere fündig. Sowohl Warrants als auch Mini-Futures oder  Constant Leverage (Faktor)-Zertifikate sind in der Lage, fallende Kurse in Gewinne umzumünzen. Dominiert wird das Segment vom klassischen Warrant. Als Put gibt er seinem Halter das Recht, einen Basiswert zum Verfalltermin für einen vorab fixierten Preis, den Strike, zu verkaufen. Je weiter sich die zugrunde liegende Position am Laufzeitende unter dieser Marke bewegt, desto höher fällt der Rückzahlungsbetrag aus. Notiert Basiswert dagegen per Verfall auf oder über dem Basispreis, läuft der Warrant wertlos aus.

Ein Blick in den Markt zeigt, dass «Long» die vorherrschende Anlageausrichtung ist. Beispielsweise werden auf der OTC-Plattform Swiss DOTS momentan knapp 40‘000 Warrants gehandelt. Nur bei gut 40% davon handelt es sich um Puts. An der SIX Swiss Exchange fällt die Vorherrschaft der Calls noch deutlicher aus. Sie stehen für mehr als vier Fünftel der insgesamt knapp 18‘000 kotierten Warrants.

Das eine oder andere Produkt aus diesem Fundus dürfte gerade zu Absicherungszwecken im Einsatz sein. Aufgrund der skizzierten Funktionsweise sind Put-Warrants gut dafür geeignet, das Aktien-Portfolio für Marktkorrekturen zu wappnen. Sofern die Kurse tatsächlich fallen, federn die Gewinne auf der Optionsscheins-Position das Minus ab. Über den Verfalltermin des strukturierten Produkts kann der zeitliche Horizont festgelegt werden. Derweil entscheidet der Strike darüber, ab welchem Niveau die im Fachjargon als «Hedge» bezeichnete Absicherung greift.

«Eine einfache Alternative bietet der Markt für strukturierte Produkte.»

Sobald an den Börsen die Hektik zunimmt, steigen die Kosten für eine solche Strategie. Ursächlich hierfür ist die implizite Volatilität als wichtiger Preisparameter des Warrants. Prinzipiell gilt: Je stärker die erwarteten Kurausschläge sind, desto höher liegt der Preis des Optionsscheines – gleiches gilt umgekehrt. Am Schweizer Aktienmarkt waren im ersten Semester zwar tendenziell stärkere Kursausschläge zu beobachten. Mit etwas mehr als 21% bewegt sich die Volatilität im SMI in etwa auf dem Niveau ihres langjährigen Mittelwertes.

Versicherung «Marke Eigenbau»

Insofern sollte die Kostenfrage Anleger nicht davon abhalten, eine Hedging-Strategie aufzusetzen. Bei einem von Schweizer Large Caps dominierten Portfolio bieten sich Put-Warrants auf den SMI hierfür als Instrument an. Wir haben eine bespielhafte Absicherung für ein CHF 100‘000 schweres Depot vorgenommen. Beim Warrant fiel die Wahl auf SKMIDU. Der von der UBS an der SIX gehandelte Put ist am 16. Dezember fällig, der Strike liegt bei 10‘000 Indexpunkten. Daraus folgt: Sobald der SMI kurz vor Weihnachten nur noch vierstellig notiert, greift die Versicherung «Marke Eigenbau».

Im Kasten 1 haben wir zwei Szenarien zusammengetragen. Angenommen, der SMI gibt im zweiten Semester tatsächlich weiter nach und notiert zum Stichtag nur noch bei 9‘000 Punkten. Dann würde das Plus auf dem Warrant den Abschlag beim Depot zu mehr als einem Drittel kompensieren. Die Differenz zwischen anfänglichem Indexstand und Strike kann also eine Art Eigenanteil betrachtet werden. Mit einem höheren Basispreis beim Put lässt sich das Absicherungsniveau ausdehnen. Das zweite Szenario unterstellt eine Kehrtwende nach oben. Der SMI steht hier Mitte Dezember bei 12‘500 Zählern. Da der Warrant dann am Verfalltermin wertlos wäre, schmälert die Absicherung die Gesamtperformance. Auch hier gilt: Jede Versicherung hat ihren Preis.

«Mit einem höheren Basispreis beim Put lässt sich das Absicherungsniveau ausdehnen.»

Passiv auf der Short-Seite

Weniger zur Depotabsicherung als für eine taktische Positionierung im Bärenmarkt eignen sich Short-ETFs. Diese passiven Fonds bilden einen Markt spiegelverkehrt ab. In der Regel erfolgt die Berechnung auf täglicher Basis. Was dazu führt, dass es über einen längeren Zeitraum zu einer Verwässerung der umgekehrt proportionalen Partizipation kommt. Der Fachjargon spricht hier von der Pfadabhängigkeit. An der SIX sind insgesamt sieben Short-ETFs der Anlageklasse Aktien kotiert. Fünf davon zielen auf den DAX ab und ermöglichen mitunter die gehebelte Short-Wette auf den deutschen Leitindex.

«Der Fachjargon spricht hier von der Pfadabhängigkeit.»

Dieses Prinzip gilt auch beim Lyxor ETF LYSSL. Bereits seit 2010 bildet dieser Fonds den SMI Daily Short Leverage Index ab. Seither dominierten die Bullen die Aktienmärkte, wodurch der ETF sukzessive an Wert verlor. Zuletzt gab er allerdings ein Lebenszeichen ab: Im ersten Halbjahr stand ein Plus von gut einem Viertel zu Buche. Obwohl der Fonds damit das Minus beim SMI mit einem Hebel von rund 1.6 in Gewinne verwandelt hat, fällt sein verwaltetes Vermögen mit CHF 33 Mio. sehr klein aus. Was zeigt, dass solche ETFs eher ein Schattendasein fristen und kaum als «Buy-and-Hold»-Assets taugen. Gleichzeitig spricht die geringe Bedeutung des Segments – selbst im grössten Short-ETF XSDX liegen lediglich CHF 318 Mio. – dafür, dass so mancher Anleger auf bessere Zeiten setzt und die skeptische Haltung von Starinvestor Ray Dalio nicht teilt.

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