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payoff Interviews

Wir rechnen im März noch mit einem Zinsschritt der SNB

02.02.2023 6 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Wir machen grundsätzlich keine Punktprognosen auf Indexebene.

Herr Geissbühler, ein positiver Jahresauftakt im Januar ist meist ein gutes Omen. Ist das Pulver nun verschossen? Oder wie sehen Sie das Börsenjahr 2023?
An der Wall Street gibt es das geflügelte Wort: «As goes January, so goes the year.» Ein positiver Jahresauftakt gilt demnach als gutes Omen für den weiteren Börsenverlauf. Aus meiner Sicht waren es drei Faktoren, welche die Märkte in den ersten Handelswochen beflügelt haben: Die (überraschende) Abkehr von der Null-Covid-Strategie in China, das Ausbleiben einer echten Energiemangellage in Europa infolge des deutlich milderen Winters und letztlich die eher vorsichtige Positionierung vieler Anleger. Einiges deutet auch auf ein klassisches «Short Covering» hin. Fundamental steht die Erholung aber auf äusserst wackligen Beinen.

Sie gelten als kritischer Geist, was die zukünftige Marktentwicklung betrifft und rechnen mit einer Stagflation. Was sind die Gründe für ihre Vorsicht?
Der Hauptgrund liegt in der Geldpolitik. Die Notenbanken haben eine fulminante Zinswende vollzogen und entziehen dem Markt nun laufend mehr Liquidität (Quantitative Tightening). Aufgrund der nach wie vor sehr hohen Inflation bleibt ihnen auch nichts anderes übrig. In der Vergangenheit hat eine stark restriktive Geldpolitik fast ausnahmslos zu einer Rezession geführt. Die deutlich inverse Zinskurve ist diesbezüglich ein klares Warnsignal und auch die Vorlaufindikatoren zeigen seit einiger Zeit nach unten. Die höheren Zinsen werden sich nun Schritt für Schritt in der Realwirtschaft bemerkbar machen.

Welche Entwicklung könnte dazu führen, dass Sie ihr aktuelles Hauptszenario über Bord werfen?
Es wäre dies die geldpolitische Kehrtwende von der Kehrtwende. Sollten die Notenbanken die Zinsen wieder zu senken beginnen und die Märkte mit Liquidität fluten, dürften wir erneut stark steigende Vermögenspreise sehen. Doch warum sollten sie das tun? Die Inflationsraten liegen weiterhin deutlich über den Zielwerten von 2%. Und die Abkehr von der radikalen Corona-Politik in China dürfte die Rohstoffnachfrage wieder ansteigen lassen: In Antizipation ist der Kupferpreis schon zweistellig gestiegen. Es gibt für die Notenbanken also keinerlei Anlass, von der restriktiven Geldpolitik abzurücken, ausser es käme zu einer scharfen Rezession oder einem «Unfall» im globalen Finanzsystem. Beides wäre kurzfristig allerdings kaum positiv für Risk Assets.

Sind für Schweizer Anleger Anleihen im laufenden Jahr die bessere Wahl als Aktien?
Schweizer-Franken-Anleihen wurden mit der Einführung der Negativzinsen 2015 völlig uninteressant und aus Renditeüberlegungen de facto nicht mehr investierbar. Die Situation hat sich aufgrund der starken Zinserhöhungen nun geändert. Entsprechend haben wir die Quote bei den Investment-Grade-Anleihen im vergangenen Herbst von einem Untergewicht auf neutral erhöht. Allerdings ist die Volatilität an den Zinsmärkten momentan sehr hoch. Seit Jahresbeginn sind die Renditen von 10-jährigen Schweizer Staatsanleihen bereits wieder um fast 50 Basispunkte gefallen. Innerhalb weniger Handelstage hat sich die Attraktivität also bereits wieder deutlich verringert. Auch auf der Anleiheseite ist deshalb ein aktives Management angesagt.

Wann rechnen Sie mit einem Ende des Bärenmarktes bei den Aktien in der Schweiz?
Seit dem Tief im Oktober 2022 ist der SPI um 14.5% gestiegen. Damit das Ende des Bärenmarktes ausgerufen werden kann, müsste der Leitindex um mehr als 20% klettern. Ich gehe davon aus, dass der Bär noch eine Zeitlang regieren wird. Insbesondere die Gewinnschätzungen der Analysten sind noch zu hoch. Entsprechende Revisionen dürften die Börsen in den kommenden Wochen deshalb belasten.

Die Schweizerische Nationalbank hat angekündigt, ihren Leitsatz weiter zu erhöhen. Was bedeutet das für die Kursentwicklung des Frankens im Vergleich zum Euro und dem US-Dollar?
Wir rechnen im März noch mit einem letzten Zinsschritt der SNB. Die Ausgangslage hierzulande ist in Bezug auf die Inflation – nicht zuletzt dank dem starken Franken – deutlich komfortabler als in Europa oder den USA. Zum Euroraum dürfte die Zinsdifferenz im Verlauf des Jahres deshalb weiter steigen. Für die Wechselkursentwicklung ist aber die Entwicklung der Realzinsen entscheidend. Wir rechnen insgesamt mit einem weiterhin robusten Franken.

Der Schweizer Aktienmarkt hielt den Schaden im vergangenen Jahr dank seiner defensiven Schwergewichte in Grenzen. Spielen Sie auch heuer die Lokomotive oder sehen Sie ein grösseres Potential in zyklischen Sektoren?
Die Zeit für Zykliker ist noch zu früh und auch Wachstumswerte werden es aufgrund steigender Zinsen weiterhin schwer haben. In einem stagflationären Umfeld gehören Titel aus defensiven Sektoren wie Gesundheit, Nahrungsmittel, Konsumgüter für den täglichen Gebrauch sowie Versorger zu den Gewinnern. Das spricht generell für den Schweizer Aktienmarkt.

2021 war Roche unter den drei Indexschwergewichten des SPI (Nestlé, Novartis, Roche) die Nummer 1, 2022 war es Novartis. Wer macht im Jahr 2023 das Rennen?
In den letzten beiden Jahren waren die Performanceunterschiede zwischen den beiden Pharmariesen in der Tat erstaunlich gross. In diesem Jahr rechne ich mit einer gleichförmigeren Entwicklung. Beide Titel sind ähnlich attraktiv bewertet und handeln mit einem (eher seltenen) Bewertungsabschlag zum Gesamtmarkt. Trotzdem würde ich Novartis leicht präferieren. In diesem Jahr erfolgt der Spin-off der Generikasparte Sandoz, was zu einer Höherbewertung der verbleibenden Pharmasparte führen dürfte. Im SMI sind neben Novartis und Roche auch Swiss Life, Swisscom und Givaudan kaufenswert.

Welchen Titeln aus der zweiten Reihe räumen Sie für 2023 das grösste Kursgewinnpotential ein?
Aus der zweiten Reihe erachte ich defensive Werte mit attraktiver Dividendenrendite wie Barry Callebaut, Bell oder Coltene als interessant. Wer auf eine Wachstumsbeschleunigung in China spekuliert, sollte sich Swatch oder Schindler anschauen. Generell sind diese Aktien aber nur als Beimischung in einem breit diversifizierten Portfolio zu empfehlen.

Raiffeisen bietet Anlegern eine Reihe regionaler Aktienbaskets an. Welchem räumen Sie im laufenden Jahr das grösste Kursgewinnpotential ein (inkl. Begründung)?
Basierend auf unserem Konjunkturszenario würde ich 2023 den Regio-Basket «Nordwestschweiz» präferieren. Dafür spricht der hohe Anteil an Werten aus dem Gesundheitssektor.

Zum Abschluss der Blick in die Kristallkugel, wie beenden wir das Börsenjahr am 29. Dezember 2023?Wir machen grundsätzlich keine Punktprognosen auf Indexebene. Ich gehe 2023 von einer hohen Volatilität und einer entsprechenden Achterbahnfahrt an den Börsen aus. Wenn wir dann das Jahr auf den aktuellen Niveaus beenden würden, wäre dies aus meiner Sicht bereits ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis.  

Vielen Dank!

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Matthias Geissbühler wurde 1975 in Bern geboren. Nach seinem Betriebswirtschaftsstu- dium an der Universität St. Gallen folgten Tätig- keiten bei verschiedenen Banken im Bereich Aktienresearch sowie Portfolio- und Fondsma- nagement. 2010 übernahm er die Leitung der Anlagestrategie bei der Bank La Roche in Basel und verantwortete diesen Bereich auch nach dem Zusammenschluss mit der Bank Notenstein. Seit Oktober 2018 ist Matthias Geissbühler als Chief Investment Officer (CIO) für die Anlagepolitik von Raiffeisen Schweiz verantwortlich. Geissbühler hält einen Abschluss als lic. oec. HSG sowie die Titel Chartered Financial Analyst (CFA) und Char- tered Market Technician (CMT).

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