Zur Krux der Kryptowelt: Die Sicht des verhaltenen Investors.
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Pascal Hügli
Redaktor
Unter Investoren ist das Thema «KI» derzeit der letzte Schrei. Es scheint, dass der Hype um ChatGPT, Bard und ähnliche Technologien das bisherige grosse Narrativ rund um Krypto-Assets und Blockchain-Technologie dieses Jahr erfolgreich abgelöst hat.
Noch im Jahr 2021, während des Höhepunkts des vorherigen Krypto-Booms, waren es die Krypto-VCs, die die Schlagzeilen beherrschten und mit USD 33 Milliarden eine Rekordsumme in Krypto-/Blockchain-/Web3-Projekte und -Startups investierten. Aktuell hat sich die Euphorie zu Krypto unter Privatinvestoren zwar merklich abgekühlt, dennoch konnten verschiedene Blockchain-Projekte, insbesondere sogenannte Layer-1-Lösungen, die Blockchain-Basis-Plattformen entwickeln, während des anhaltenden Bärenmarktes astronomisch hohe Summen einsammeln.
Ein Beispiel dafür ist das Sui-Blockchain-Projekt, das von ehemaligen Mitarbeitern von Meta (ehemals das Stablecoin-Projekt von «Facebook») vorangetrieben wurde und in zwei Finanzierungsrunden insgesamt USD 336 Millionen eingesammelt hat. Ein weiteres Projekt namens Aptos, das ebenfalls von ehemaligen Meta-Mitarbeitern angestossen wurde, konnte insgesamt USD 350 Milionen an VC-Geldern aufbringen. Und das von Sam Altman, CEO von OpenAI, mitgegründete Blockchain-Projekt Worldcoin hat es kürzlich auf ebenfalls USD 115 Millionen geschafft.
Freund oder Feind?
Angesichts solcher gegenwärtiger Finanzierungserfolgsgeschichten von verschiedenen Kryptoprojekten fühlt sich manch ein Privatinvestor beruhigt, würde doch das Interesse der VC-Profis zeigen, dass die Kryptowelt nach wie vor einer rosigen Zukunft entgegengeht. Diese Schlussfolgerung erweist sich jedoch als weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat.
Krypto-Risikokapitalgeber sind nämlich nicht zwingend die Freunde von Privatinvestoren. Auf diese Tatsache hat zuletzt erst der Gründer und Chefwissenschaftler von Dfinity in einem Blockchain-Panel ausführlich hingewiesen, dem der Autor dieser Zeilen beiwohnen durfte. Das Projekt hatte seinerzeit ebenfalls über USD 100 Millionen von zahlreichen namhaften VCs für seine Idee des «Internet-Computers» gesammelt.
Das Votum des Dfinity-Gründers fiel vernichtend aus: Aus seinen Hunderten von Gesprächen mit Krypto-VCs aus aller Welt konnte er feststellen, dass es kaum solche gibt, die das Gesamtinteresse der Industrie im Fokus haben. Viel zu oft investieren die grössten Risikokapitalgeber in Blockchains, um dann Ökosystem-Applikationen zu finanzieren, die zu einem grossen Teil von zentralisierten Komponenten abhängig sind und wenig mit der eigentlichen Idee einer Blockchain zu tun haben. Damit drehen sie jedoch an einem Schwungrad, das früher oder später zum Stillstand kommen wird, da es allen Beteiligten schlicht an einer Langzeitperspektive fehlt.
Eine Welt pervertierter Anreize
Wie sind die Aussagen des Dfinity-Gründers einzuordnen? Nun, der Marktabsturz im Jahr 2022 und der damit verbundene «Zusammenbruch» von Hedgefonds und Krypto-VCs, wie Three Arrows Capital, scheint die Kurzfristigkeit dieser Akteure zu bestätigen. Auch der Fall der zweitgrössten Kryptobörse FTX im November letzten Jahres lässt Zweifel aufkommen, wie geschickt und klug das sogenannte Smart Money wirklich ist, da nur wenige der investierten und eng mit der Börse verbundenen Investoren den Betrug erkannt haben.
Es scheint, dass Krypto-VCs besonders schlechten Anreizen ausgesetzt sind. Insbesondere das Konzept der Tokens hat zu einer grundlegenden Verschiebung der Interessen geführt. Während herkömmliche VC-Deals jahrelang illiquide Anteile an Aktien beinhalten, werden Tokens oft viel schneller handelbar gemacht. Etwas überspitzt ausgedrückt: Mit Token kann man von der Finanzmittelbeschaffung sofort profitieren. Eine finanzielle Belohnung – auch für die VCs – ist weniger stark vom Geschäftsergebnis abhängig. Sie hängt noch stärker davon ab, stimmige, verlockende Narrative über zukünftige Erfolge und Geschäftsergebnisses zu forcieren.
Aufgrund dieser Fehlanreize werden Investoren stärker als je zuvor zu Spekulanten, die darauf abzielen, ihre Position zum optimalen Zeitpunkt zu liquidieren. Dabei werden Nutzer nicht zuletzt durch die Einführung eines Tokens angezogen.
Krypto als Ausgeburt der Tiefzinsdekaden
Das Token-Dilemma ist denn auch eine der Krypto-Industrie eigene Problematik. Dass so viel Geld in risikoreiche Anlagen wie Krypto-Assets fliesst, ist letztendlich auch zum grossen Teil den niedrigen bis negativen Zinsen der vergangenen Jahre geschuldet. Dieser Druck nach Rendite hat dazu geführt, dass Anleger aller Investmentklassen vermehrt entlang der Risikokurve in potenziell rentablere, aber auch risikoreichere Chancen investieren müssen.
Aufgrund dieser Dynamik ist nicht nur das Investitionsrisiko für einzelne Investoren gestiegen, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Gefahr einer unzureichenden Kapitalallokation hat zugenommen. Niedrige oder sogar negative Zinsen verleiten Kapitalanleger dazu, spekulativen Vorhaben günstiges Geld zuzuführen, um eine nominell ausreichend hohe Rendite zu erzielen, die den realen Inflationsschaden ausgleicht.
Dass die Kryptowelt stark fehlgeleiteten Anreizen und einer besonders starken Fehlallokation von Kapital ausgesetzt ist, wird ihr aus den «eigenen» Reihen vorgeworfen. Die Vertreter, die sich als Bitcoin-Puristen sehen und sich nicht als Teil der Krypto-Industrie verstanden haben wollen, betrachten Krypto als opportunistisches Ergebnis von mehr als 14 Jahren Gratisgeld seit 2008.
Bestärkt werden sie durch Analysen, die kürzlich von Trammell Venture Partners, einer Risikokapitalfirma aus Texas in den USA veröffentlicht wurden. Die VC-Bude verfolgt zwar einen Bitcoin-Only-Investmentansatz, die veröffentlichten Befunde sind gleichwohl interessant. So macht 2022 die in Bitcoin-Projekte investierte US-Dollar-Summe gerade einmal 1.31% aller in den Krypto-Markt geleisteten Investments aus. Zumal Bitcoin in Bezug auf die Marktkapitalisierung derzeit noch immer weit über 40% beträgt, glauben nicht wenige Bitcoiner an diesen Zahlen den oben beschriebenen Umstand einer Kapitalfehlallokation ablesen zu können.
Wehret der Überdiversifikation
Ist den Bitcoin-Only-Repräsentanten in ihren Argumenten beizupflichten? Ja und nein. Die Anreize, die durch Token-Konstrukte geschaffen werden, haben in der Tat ihre Negativseiten. Und die Realität einer gewissen Fehlallokation von Kapital, das sich aufgrund einer langanhaltenden Nullzinsphase bei VCs angestaut und von diesen nun noch immer in neuen Hype-Zyklen en masse zur Verfügung gestellt wird, ist ebenfalls nur schwer in Abrede zu stellen – vor allem wenn man bedenkt, dass unter den profitierenden Layer-1-Blockchain-Projekten wenig bis gar keine wirkliche Innovation stattfindet.
Wo den Bitcoinern hingegen nicht zuzustimmen ist: Nicht jedes Krypto-Projekt ist bloss Schlangenöl. So wäre es wohl anmassend bis vermessen, heute mit absoluter Sicherheit behaupten zu wollen, dass die Innovation des verteilten Computings wirklich nur in der Form der Bitcoin-Blockchain durchsetzen dürfte.
Für einen Krypto-Investor ist es wichtig, sich beide Erkenntnisse zu Herzen zu nehmen – insbesondere dann, wenn er langfristig investiert ist. Das bedeutet konkret: Nicht jedem Krypto-Token, vor allem auch nicht jedem neuen, glänzenden Layer-1-Blockchain-Coin und dessen Ökosystem-Token, gilt es hinterherzurennen. Das eigene Portfolio sollte man vielmehr auf einige wenige Projekte reduzieren, wobei Bitcoin nach wie vor einen bedeutenden Teil ausmachen sollte. Darüber hinaus kann man in einige wenige alternative Projekte diversifizieren. Diese sollten langfristig aufgrund eines gewissen Alleinstellungsmerkmals nicht nur einen spezifischen Use Case bedienen können, sondern auch in Bezug auf die Token-Verteilung solide aufgestellt sein. Nur so kann das Risiko minimiert werden, trotz eines technologisch spannenden Ansatzes von und durch die Ränkespiele der VCs auszubluten.