

Den Letzten beissen die Hunde
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Stéphanie Fuchs
CEO und Founder
Stéphanie Fuchs Consulting -
Ülkü Cibik
lic. iur., Counsel
MLL Legal AG
Obligationen gehören trotz wechselnder Märkte zu den Konstanten im Anlegerportfolio. Die steuerliche Behandlung von Obligationen verdient besondere Aufmerksamkeit: Denn Erträge gelten nicht als steuerfreier Kapitalgewinn, sondern unterliegen der Einkommens- und Verrechnungssteuer.
Wer ein Vermögen aufbaut oder erhält, kommt an Obligationen kaum vorbei. Sie ergänzen Aktieninvestitionen, bringen Stabilität in schwankende Märkte und dämpfen das Risiko. Oft genügt schon ein Blick auf die klassische 60/40-Aufteilung, um ihre Rolle zu verstehen. Auch wenn diese Formel während der Covid-Krise vorübergehend ins Wanken geriet, hat sich ihre Bedeutung längst wieder bestätigt.
Doch wer auf Obligationen setzt, sollte nicht nur Renditen und Bonitäten prüfen. Gerade steuerlich bergen viele Strukturen Fallstricke, die Anleger teuer zu stehen kommen können.
Obligationen sind Forderungspapiere mit klaren Regeln
Rechtlich gesehen stellen Anleihensobligationen – in der Praxis gelegentlich in der Kurzform «Obligation» genannt – eine schuldrechtliche Forderung gegenüber dem Emittenten dar. Obligationen sind demnach im schweizerischen Recht als schuldrechtliche Forderungspapiere einzuordnen. Sie begründen gegenüber dem Emittenten (Schuldner) einen vertraglichen Anspruch des Anleihensnehmers (Gläubigers) auf Rückzahlung des Kapitals (Nennwerts) zu einem bestimmten Zeitpunkt sowie auf Zahlung von Zinsen.
Obwohl das Schweizer Obligationenrecht in seiner fünften Abteilung den «Anleihensobligationen» einen eigenen Abschnitt widmet, enthält es weder eine gesetzliche Definition des Begriffs der Anleihe noch der Anleihensobligation. Bereits unter dem früheren Privatrecht1 wurde durch das Bundesgericht der Begriff der Anleihe als ein «in Teilbeträge aufgeteiltes Grossdarlehen auf einheitlicher Rechtsgrundlage (Zinssatz, Ausgabepreis, Laufzeit, Zeichnungsfrist und Liberierungsdatum)» umschrieben2. Diese Umschreibung wurde im Rahmen der Legaldefinition unter dem Bundesgesetz über die Finanzdienstleistungen (FIDLEG) erneut aufgegriffen. Hier werden Anleihensobligationen als «Anteile an einem Gesamtdarlehen mit einheitlichen Bedingungen» definiert3. Diese Begriffsbestimmung entspricht der im Kapitalmarkt- und Wertpapierrecht allgemein anerkannten Definition.
Eine Obligation ist also ein Wertpapier, das einen schuldrechtlichen Anspruch dokumentiert. Im Gegensatz zu Aktien verbriefen Obligationen aber keine Eigentumsrechte am Unternehmen, sondern eine Forderung auf Rückzahlung und Verzinsung. Der Inhaber der Obligation ist Gläubiger, der Emittent Schuldner.
Typische Merkmale von Obligationen sind vereinfacht dargestellt:
- Nennwert und Laufzeit: Obligationen haben einen definierten Nennwert, der bei Fälligkeit zurückzuzahlen ist. Die Laufzeit ist entweder fixiert (Festzinsobligationen) oder variabel.
- Verzinsung: Obligationen werden üblicherweise mit einem festen oder variablen Zinssatz (Kupon) ausgestattet, der periodisch (z. B. jährlich oder halbjährlich) ausgeschüttet wird.
- Rückzahlung: Am Ende der Laufzeit erfolgt die Rückzahlung des Nennwerts. Diese kann zum Nennwert («zu pari»), unter pari oder über pari erfolgen, was die Rendite beeinflusst.
- Emission: Die Ausgabe (Emission) der Obligation erfolgt durch den Emittenten. Dabei kann der Ausgabepreis vom Nennwert abweichen – «unter pari» bedeutet, dass die Obligation unter dem Nennwert verkauft wird, «zu pari» entspricht dem Nennwert, und «über pari» einem höheren Preis.
Kein steuerfreier Kapitalgewinn
Die Preisstellung bei der Emission von Obligationen hat steuerrechtliche Konsequenzen, da eine Differenz zwischen Ausgabepreis und Rückzahlungswert als Einmalverzinsung gilt. Diese stellt keinen steuerfreien Kapitalgewinn dar, sondern wird als Einkommen aus Schuldzinsen behandelt. Damit fällt sie in den Bereich der Einkommens- sowie der Verrechnungssteuer4. Ob eine Obligation unter oder zu pari ausgegeben wird, ist somit für Anleger sowohl aus finanz- als auch aus steuerrechtlicher Sicht bedeutsam.
Regelmässige Zinsen heissen regelmässige Steuerpflicht
Bei gewöhnlichen Obligationen erfolgt die Emission in der Regel zu pari, und die Rückzahlung geschieht ebenfalls zum Nennwert. Die Entschädigung für das hingegebene Kapital besteht in periodischen Zinszahlungen, die einkommenssteuerpflichtig sind. Zudem unterliegen sie der Verrechnungssteuer, die bei korrekter Deklaration von Schweizer Investoren vollständig zurückgefordert werden kann.
Diskont- und Zerobonds: Einmalzahlung, volle Steuerbelastung
Reine Diskont- und globalverzinsliche Obligationen, so genannte Zerobonds, weisen keine laufenden Zinszahlungen auf. Das gesamte Entgelt wird erst bei der Rückzahlung als Einmalzahlung entrichtet. Steuerlich gelten solche Strukturen als überwiegend einmalverzinslich. Die Differenz zwischen Ausgabepreis und Rückzahlungsbetrag wird als steuerbares Einkommen erfasst. Auch diese Einmalverzinsung unterliegt der Verrechnungssteuer.
Gemischte Obligationen: IUP ist der Schlüssel
Differenzierter ist die Situation bei gemischten Diskont- oder globalverzinslichen Obligationen. Diese Papiere kombinieren laufende Zinszahlungen mit einer Einmalentschädigung bei Verkauf respektive Rückzahlung. Steuerlich entscheidend ist, ob die Obligation als hauptsächlich einmalverzinslich einzustufen ist. Dies wird als IUP bezeichnet, «intérêt unique prédominant».
Bei einer IUP-Obligation fällt beim Anleger bei jedem Verkauf die Differenz zwischen dem Erwerbs- und Verkaufspreis der Einkommens- und Verrechnungssteuer an. Liegt hingegen keine überwiegende Einmalverzinsung vor, wird die Einmalentschädigung ausschliesslich beim Letzthaltenden im Zeitpunkt der Rückzahlung steuerlich erfasst. Dies wird gemeinhin mit dem Ausdruck beschrieben: Den Letzten beissen die Hunde.
Kein IUP – Letzter Inhaber zahlt Steuern
Gerade bei gemischten Obligationen ohne überwiegende Einmalverzinsung zeigt sich das Risiko deutlich: Wer die Obligation bis zur Fälligkeit hält, muss die gesamte Einmalentschädigung im Einkommen und der Verrechnungssteuer versteuern. Frühere Inhaber bleiben von dieser Steuerpflicht unberührt. Die periodischen Zinsen bleiben jedoch jeweils im Zeitpunkt der Fälligkeit beim jeweiligen Empfänger steuerbar und werden mit der Einkommens- und Verrechnungssteuer erfasst. Aus Anlegersicht kann sich daher ein frühzeitiger Verkauf lohnen, um eine hohe Steuerbelastung zu vermeiden.
Hier lohnt sich vor dem Erwerb einer Obligation der Blick in die Kursliste der Eidgenössischen Steuerverwaltung5. Dort ist ersichtlich, ob ein Papier als überwiegend einmalverzinslich klassifiziert wurde. Es wird dann jeweils der Zusatz «IUP» angeführt. Fehlen entsprechende Hinweise, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass keine IUP-Qualifikation vorliegt. Im Zweifel sollte eine Rückfrage bei der Steuerbehörde erfolgen.
Sonderfall Marchzinsen – Kapitalgewinn statt Zinseinkommen
Marchzinsen entstehen, wenn eine Obligation zwischen zwei Zinsterminen gekauft wird. Sie sind keine eigentlichen Zinsen, sondern die Vergütung des Käufers an den Verkäufer für den bis zum Verkaufszeitpunkt aufgelaufenen, aber noch nicht fällig gewordenen Zinsanspruch. Steuerlich gelten diese Zahlungen als Kapitalgewinn, da sie nicht vom Schuldner der Obligation, sondern vom Käufer an den Verkäufer entrichtet werden. Für den Käufer stellen die Marchzinsen einen Teil seines Aufwandes für die Anschaffung des Vermögenswertes «Obligation» dar. Ein Abzug dieser Beträge vom steuerbaren Einkommen ist nicht möglich.
Wissen schützt vor bösen Steuerüberraschungen
Obligationen bleiben ein wichtiger Bestandteil der Vermögensanlage. Ihre steuerliche Behandlung verlangt jedoch Aufmerksamkeit. Gerade die Struktur der Verzinsung und der Zeitpunkt der Veräusserung oder Rückzahlung können erhebliche Auswirkungen haben. Wer sich frühzeitig mit den steuerlichen Folgen auseinandersetzt, sichert sich eine vorausschauende und belastbare Anlagestrategie.
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1 alt Art. 1156–1186 OR.
2 BGE 113 II 283 E. 5.
3 Art. 3 lit. a Ziff. 7 FIDLEG.
4 Die steuerliche Systematik wird im Kreisschreiben 15 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 3. Oktober 2017: Obligationen und derivative Finanzinstrumente als Gegenstand der direkten Bundessteuer, der Verrechnungssteuer sowie der Stempelabgaben näher dargelegt sowie im Dossier Steuerinformationen der Eidgenössischen Steuerverwaltung, letzte Version vom März 2023: Besteuerung von Obligationen, Derivaten und kombinierten Produkten.
5Kursliste der ESTV: www.ictax.admin.ch/extern/de.html#/ratelist.