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payoff Interviews

Die defensive Stärke von Nestlé

11.01.2024 8 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Novartis (mit Ausnahme der Abspaltung von Sandoz und einer positiven Marktreaktion auf die positiven Daten für «Kisqali»), Nestlé, und vor allem Roche, verzeichneten im Jahr 2023 eine mässige bis enttäuschende Kursentwicklung. Was waren die Hauptgründe für diese schwache Performance? 
Omar Brem: Bei Roche führten im vergangenen Jahr eine Reihe negativer Studienergebnisse zu einer Underperformance gegenüber dem Pharma Large Cap Sektor und dem SPI. Dazu gehörten ace-LERA mit Giredestrant (2L-Hormontherapie bei Brustkrebs), Zwischenergebnisse zum Gesamtüberleben von SKYSCRAPER-01 mit nur positivem Trend (Mai 2023) und zuletzt die EMBARK-Studie bei Duchenne-Muskeldystrophie. Auch der Wegfall des Covid-19-Umsatzes von CHF 4.5 Mrd. im Jahr 2022 war nicht hilfreich.

Die Underperformance von Nestlé geht Hand in Hand mit der generellen Underperformance defensiver Titel im Nahrungsmittelsektor. Ein Grund dafür ist sicherlich die Volumenentwicklung, die in den ersten 9 Monaten 2023 im gesamten Sektor rückläufig war und auch Nestlé betraf. In Q4 2023 dürfte Nestlé erstmals wieder ein Volumenwachstum erzielen. Die Volumenentwicklung ist auch eine Folge der starken Preiserhöhungen, die die Konsumenten in Westeuropa, aber auch in Nordamerika und anderen Weltregionen belastet haben. Der potenziell negative Umsatzeffekt von appetitzügelnden GLP-1-Medikamenten (in den USA) ist ein weiterer Grund für die Preisentwicklung. Aus diesen Gründen beurteilen wir den Investment Case von Nestlé weiterhin positiv und stufen die Aktie mit «Übergewichten» ein.

Wie sehen Sie die Perspektiven der beiden Pharmamultis im Jahr 2024? Novartis mit eigentlich guten Q3-Zahlen, aber vieles ist schon eingepreist. Roche hat mit Carmot die Pipeline etwas gefüllt.
Omar Brem: Sowohl Novartis als auch Roche dürften ein gutes Gewinnwachstum aufweisen, doch liegen wir bei beiden Unternehmen für 2024 beim Kern-EBIT und den EPS nahe am Konsens. Carmot (Diabetes und Adipositas) ist nur eine der 2023-Transaktionen, Televant (Colitis ulcerosa) war doppelt so gross, aber die Folgeinvestitionen für erstere sind potenziell viel grösser, wenn gute Phase-II-Daten veröffentlicht werden (möglicherweise 2024).

Das ZKB-Research hat letztes Jahr vornehmlich auf Novartis gesetzt, dieses Jahr steht Roche im Fokus. Was hat zu diesem Wechsel geführt? Wo liegen die Gründe?
Omar Brem: Im Pharmasektor bevorzugen wir Roche (Einstufung: Übergewichten) gegenüber Novartis (Einstufung: Marktgewichten). Novartis haben wir aufgrund des starken Kursanstiegs im Vorfeld zum Sandoz Spin-Off per 14. August 2023 von «Übergewichten» auf «Marktgewichten» herabgestuft. Bei Roche sehen wir bis 2024 eine gute Gewinnvisibilität und liegen mit unseren Schätzungen für 2025 über dem Konsens (7% für Core EPS), während wir bei Novartis sowohl für das laufende als auch für das kommende Jahr etwas vorsichtiger sind.

Betrachtet man die Pipeline von Roche, so sind wir für die Studie SKYSCRAPER-01 sehr vorsichtig und für SKYSCRAPER-06 (beide mit «Tiragolumab» bei Lungenkrebs) nur verhalten optimistisch. Die Erwartungen an die Pipeline von Roche sind nach den vielen Enttäuschungen gedämpft. Nach unserer Einschätzung könnten «Giredestrant» (Brustkrebs), «Divarasib» (Lungenkrebs), «Fenebrutinib» (MS), «Enspryg» (Myasthenia gravis) im Zeitraum 2024-26 eher positiv überraschen.

Bei Novartis hingegen sind die Erwartungen an die Pipeline deutlich gestiegen: Seit 1H 22 haben sich die Konsenserwartungen für «Kisqali», «Pluvicto», «Scemblix» und «Iptacopan» verdreifacht und Novartis muss nun positive Gesamtüberlebensdaten und Zulassungen «nachliefern» sowie eine gute Kommerzialisierung sicherstellen, um die hohen Erwartungen zu erfüllen. Ferner sollte in den nächsten Jahren generische/biosimilars Erosion eher ein Thema für Novartis als für Roche sein.

Ferner sollte in den nächsten Jahren generische/biosimilars Erosion eher ein Thema für Novartis als für Roche sein.

Erwarten Sie im laufenden Jahr Übernahmen bei Roche und Novartis? Wenn ja, in welchen Tätigkeitsbereichen sind diese am wahrscheinlichsten?
Omar Brem: Akquisitionen und Einlizenzierungen dürften sich bei beiden Unternehmen fortsetzen, bei Roche aufgrund des hohen Free Cash Flows und fehlender Aktienrückkäufe stärker als bei Novartis. 

Wie 2023 erwarten wir mehrere Deals in der Grössenordnung von CHF 0.5 bis maximal 10 Mrd. (upfront payment/acquisition price). Mega-Mergers sind in der Branche seit einigen Jahren «out», aber insbesondere Roche verfügt über ein sehr grosses Know-how bei komplexen Akquisitionen und Integrationen, so dass ein grösserer Deal nicht ganz ausgeschlossen werden kann (Bayer).

Welche Auslöser könnten der Nestlé-Aktie neuen Schwung verleihen?
Omar Brem: Nach der schwachen Kursentwicklung im vergangenen Jahr sollte Nestlé unserer Meinung nach 2024 seine defensiven Stärken besser ausspielen können.

Dank der starken Marktposition von Nestlé unter anderem in den Kategorien Coffee, Nutrition und Pet Care sowie der geringen Konkurrenz durch Handelsmarken dürften sich diese Bereiche in einem schwierigeren Detailhandelsumfeld vergleichsweise gut behaupten. Sie sind auch nicht direkt von den Auswirkungen der Appetitzügler (GLP-1) betroffen.

Wie belastend sind dabei die gestiegenen Kakaopreise?
Omar Brem: Grundsätzlich hat sich die Situation auf der Inputseite deutlich entspannt. Die verbesserte Situation bei den Inputkosten sollte 2024 eine Rückkehr zum RIG-Wachstum (Volumen + Mix) und eine Steigerung der EBIT-Marge um rund 40 Basispunkte ermöglichen.

Der Preis für Kakaobohnen ist in den letzten Monaten massiv gestiegen und befindet sich auf dem höchsten Stand seit 47 Jahren. Grund dafür ist eine Verknappung des Angebots, unter anderem wegen einer schlechten Ernte in Westafrika aufgrund starker Regenfälle. Der Preis ist aber auch spekulativ getrieben. Diese höheren Inputkosten müssen an den Endverbraucher weitergegeben werden, was sich negativ auf den Schokoladenkonsum auswirken dürfte.

Schokolade/Süsswaren werden 2024 noch 8% des Gesamtumsatzes von Nestlé ausmachen, d.h. CHF 8.1 Mrd., wovon CHF 6.1 Mrd. auf Schokolade entfallen. Die wichtigsten Rohstoffe von Nestlé sind Milch, gefolgt von Kaffee und Getreide. Kakao macht nach unseren Schätzungen weniger als 5% der Rohstoffkosten von Nestlé aus. Bei den reinen Schokoladenkonzernen Barry Callebaut und Lindt & Sprüngli wirkt sich der Preisanstieg für Kakaobohnen deutlich stärker aus als bei Nestlé.

Bei den Strukturierten Produkten ist die Kombination von Nestlé, Novartis und Roche sehr beliebt. Wie würden Sie diese drei Titel heute am besten spielen? Einerseits als eher defensiver Investor und andererseits, wenn man es etwas sportlicher mag.
Curdin Summermatter: Bei der Definition der Produktdetails ist grundsätzlich die spezifische Risikofähigkeit und die individuelle Einschätzung für die jeweilige Aktienselektion zu berücksichtigen. Unabhängig davon eignen sich für sportliche Anlegerinnen und Anleger Hebelprodukte wie Mini Futures und Call Warrants. Aus der Kategorie der Partizipationsprodukte kommen zudem Bonus-Zertifikate und Outperformance-Zertifikate in Frage. Die Attraktivität von Bonus-Zertifikaten liegt darin, dass Anlegerinnen und Anleger neben einem bedingten Kapitalschutz gleichzeitig von der positiven Entwicklung des Basiswertes profitieren. Outperformance-Zertifikate haben in der Regel eine Upside-Partizipation von mehr als 100% und sind in der Regel mit etwas kürzeren Laufzeiten konzipiert. 

Für defensivere Anlegerinnen und Anleger kann unter Umständen ein kapitalgeschütztes Produkt interessant sein. Im aktuell wieder etwas tieferen Zinsumfeld ist jedoch ein besonderes Augenmerk auf das Chancen-Risiko-Profil zu legen.

Schliesslich stellt der Klassiker unter den Strukturierten Produkten, der Barrier Reverse Convertible (BRC), eine potenzielle Alternative dar. Durch die Wahl der Produktparameter wie Laufzeit, Strike und Barriere kann das Produkt sowohl auf sportliche als auch auf defensive Anlegerinnen und Anleger ausgerichtet werden.

Welches Produkt dieser drei Titel würden Sie heute ins Schaufenster stellen?
Curdin Summermatter: Um für alle Bedürfnisse etwas Passendes anbieten zu können, halte ich eine Kombination aus einem Bonus-Zertifikat und einer konservativeren, risikoaverseren BRC-Variante für sinnvoll. Gleichzeitig bieten wir eine breite und umfangreiche Palette an Hebelprodukten an.

Vielen Dank!

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Omar Brem 
Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank

Omar Brem leitet seit Sommer 2020 das Sell-Side-Research der Zürcher Kantonalbank. Zuvor arbeitete er bei Pictet Asset Management, wo er seit 2014 als Investment Manager Swiss Equity tätig war. Brem hat an der Universität Zürich und am Imperial College in London Banking und Finance studiert.

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Curdin Summermatter 
Leiter Verkauf Strukturierte Produkte bei der Zürcher Kantonalbank

Curdin Summermatter ist seit 2007 im Bereich Strukturierte Produkte der Zürcher Kantonalbank tätig. Seit 2015 leitet er als Mitglied der Direktion den Verkauf der Strukturierten Produkten. Davor war er in verschiedenen Abteilungen innerhalb der Bank tätig. Curdin Summermatter ist zudem Mitglied der Kommission für Strukturierte Produkte der Swiss Exchange SIX sowie in der Arbeitsgruppe Standard der Swiss Structured Products Association tätig. Der studierte Betriebsökonom und Finanzanalyst (CIIA) verfügt über einen MBA der University of Chicago.
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