Die Schweizer Franken Zinsen übersteigen die aktuelle Inflation in der Schweiz.
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Das Interview nicht nur als Text, sondern auch als Audiofile. Hören Sie rein:
Herr Zöller was spricht aus Ihrer Sicht für eine Anlage in langfristigen Obligationen?
Die vergangenen 15 Jahre waren geprägt von Null- oder negativen Leitzinsen. Jetzt, nach der Zinswende, werfen nicht nur sämtliche Laufzeiten, sondern auch sämtliche Qualitäten wieder positive Renditen ab. Für Investoren, die eine hohe Planbarkeit und eine hohe Berechenbarkeit ihrer Anlagen wünschen, bieten Obligationen auch als einzelne Anlagekategorie wieder eine sehr valable Investitionsmöglichkeit – insbesondere auch im qualitativ hochwertigen Bonitätsbereich. Essenziell ist auch die veränderte Bedeutung von Obligationen im Kontext einer gemischten Anlagelösung. In einem gemischten Portfolio, das schwergewichtig aus Aktien und Obligationen besteht, wurde in den vergangenen Jahren der Diversifikationseffekt schmerzlich vermisst. Die Renditen waren so tief, dass kein Potenzial für noch tiefere Renditen bestand und entsprechend boten Obligationen in Zeiten von herausfordernden Aktienmärkten nicht den gewohnten Schutz. Das hat sich mittlerweile wieder geändert. Deshalb bin ich überzeugt, dass Obligationen auch in einem gemischten Portfolio wieder eine zentrale Stütze darstellen.
In welchen Segmenten sehen Sie denn aktuell die grössten Chancen?
Wie immer gilt es, am Obligationenmarkt zwischen Zins- und Kreditrisiken zu unterscheiden. Das ist entscheidend. Zinsrisiken dominieren bei Anlagen in Obligationen mit sehr hoher Bonität. Gemeint sind z.B. Staatsanleihen der Schweiz, Deutschland oder auch der USA. Dabei wird das zur Verfügung stellen von Kapital entschädigt, also der Verzicht auf Kapital für eine bestimmte Laufzeit. Zusätzlich stehen bei Kreditrisiken das Risiko eines Ausfalls oder einer nicht rechtzeitigen Rückzahlung im Zentrum. Dies betrifft vor allem Unternehmensanleihen. In der Schweiz stand während der langen Phase von negativen oder Nullzinsen zu 100% die Kreditkomponente im Fokus. So waren Kreditprämien aufgrund der negativen risikoarmen Zinsen die einzigen positiven Ertragsquellen. Das Verhältnis zwischen der Komponente Zins und Kredit hat sich in den letzten zwei Jahren komplett geändert. Nehmen wir als Beispiel einen fünfjährigen Schweizer Pfandbrief mit Triple A-Qualität, also höchster Bonitätsstufe. Dieser entschädigt aktuell mit rund 1.75% Rendite auf Verfall. Das sind rund 2.25% mehr als noch vor zwei Jahren. Das ist ein signifikanter Unterschied. Die Entschädigung für Kreditrisiken befindet sich jedoch noch immer im historischen Durchschnitt. Das heisst, wir haben uns von der Welt wegbewegt, in der 100% des Gesamtportfolioertrags bei Obligationen aus Kredit kam, hin zu einem Umfeld, bei dem 80-90% der Gesamtrendite aus dem risikoarmen Teil kommt. Folglich erachten wir hohe Bonitäten aktuell als attraktiv. Ganz generell sind wir bei der Übernahme von Kreditrisiken sehr selektiv, wenn nicht sogar zurückhaltend. Regional spricht vieles für den Schweizer Frankenmarkt. In der Schweiz haben wir sehr solide Staatsfinanzen, was hilft, die Inflation langfristig unter Kontrolle zu haben. Die Schweizer Franken Zinsen übersteigen die aktuelle Inflation in der Schweiz, was sicher keine schlechte Ausgangslage ist, wenn man das mit den vergangenen Jahren vergleicht.
Wie beurteilen Sie das Inflationsrisiko bis Ende 2024?
Steigende Preise sind schlussendlich eine Folge von Knappheiten. Vor zwei Jahren, zu Beginn der aktuellen Inflationswelle, waren die Knappheiten vor allem dem Unterbruch von Lieferketten und einer sich völlig verändernden Konsumentennachfrage geschuldet. Während der Pandemie wurden andere Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt. Mittlerweile haben sich die globalen Güterpreise in den meisten Segmenten stabilisiert. Auch die globalen Inventarniveaus, also die bereits produzierten Güter oder Vorleistungen, sprechen aktuell nicht für ein unmittelbares Wiederaufflackern der Güterinflation.
Doch diese Güterpreisinflation wurde durch eine hartnäckige Knappheit bei Services und auch bei Lebensmitteln abgelöst. Auch konnten Unternehmen Preissteigerungen gut weitergeben. Die Margen konnten gehalten und teilweise sogar erweitert werden, mit der Konsequenz von zusätzlich steigenden Preisen. Unsere Erwartung ist deshalb, dass die Normalisierung bzw. der Rückgang der Inflation von fast zweistelligen Inflationsraten in gewissen Ländern weitergehen wird, dass aber das Ziel von 2% Inflation als akzeptiertes Mass der Preisstabilität in Zukunft eher der untere Rand der Inflation sein wird.
Erschwert die teilweise Abkehr von der Globalisierung in Teilbereichen die Bekämpfung der bislang sehr hartnäckigen Teuerung?
Die Auslagerung von Produktionsprozessen hat sicherlich zur tiefen Inflation in den vergangenen rund 15 Jahren beigetragen. Auch wenn aktuell gewisse Segmente aus Überlegungen der Versorgungssicherheit stärker regional produzieren, bleibt die globale Ausrichtung von Produktionsprozessen immer noch sehr dominant und auch sehr schwer umkehrbar. Und auch die aktuelle Inflationsdynamik ist unseres Erachtens nicht primär produktions- oder angebotsseitig getrieben. Im Moment wirken eher die unglaublichen und enormen staatlichen Konjunkturprogramme. Sie wirken äusserst stimulierend auf die Nachfrage und erschweren damit die Bekämpfung der Teuerung. So ist etwa das aktuelle Budgetdefizit der USA ungefähr vergleichbar mit den Notfallstützungsmassnahmen während der Finanzkrise 2008/2009, mit dem Unterschied, dass wir uns aktuell in einer Situation der Vollbeschäftigung befinden.
Was könnte das Fed dazu bewegen, von ihrer gegenwärtigen Zinspolitik abzurücken?
Die einfache Antwort wäre eine rückkehrende Inflation auf die angestrebten 2%. Dann wäre eine restriktive Geldpolitik nicht mehr in diesem Ausmass erforderlich. Aber es lohnt sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Die wahrscheinlichere Möglichkeit stellen dann schon notfallmässige Stützungsmassnahmen dar. Es existieren zahlreiche historische Beispiele, wo Zinserhöhungszyklen schlussendlich durch Stress im Finanzsystem beendet oder sogar in die andere Richtung getrieben wurden. Denken wir z.B. an die Dotcom-Bubble Anfang der Nullerjahre oder an die Finanzkrise 2008/2009. Auch in Europa gibt es diese historischen Beispiele – erinnern wir uns an die Euro-Krise, die noch nicht so lange her ist. Die Europäische Zentralbank wurde damals zu einer Umkehr der Zinspolitik durch Stress am Finanzmarkt bzw. einer Kreditklemme gedrängt. Wenn man diese historischen Präzedenzfälle nimmt, dann kann oder muss man davon ausgehen, dass diese Gründe von Stress im System wahrscheinlich die Zinspolitik neu ausrichten werden.
Könnten die zuletzt stark gestiegenen Zinskosten in den USA die Notenbank zu einem Umdenken ihrer Zinspolitik zwingen?
Das ist eine sehr spannende Frage. Bisher hat der schnellste Zinserhöhungszyklus der letzten 40 Jahre vermutlich deutlich weniger gebremst, als erwartet wurde. Es ist bereits die Rede von der meisterwarteten Rezession aller Zeiten. Es ist zu erwarten, dass der bremsende Effekt von höheren Zinsen und dem Entzug von Liquidität kommen wird. Gewisse Kreditnehmer werden diese Zinslast nicht mehr stemmen können. Und Investoren haben jetzt die Möglichkeit, viel risikoärmer zu investieren. Das heisst, die Suche nach Kapital für risikoreiche Anlagen wird ein bisschen schwieriger als sie bislang war und das wird sicher mittelfristig auch gewisse Effekte haben. Ob das dann reicht, dass die Notenbanken ihre Zinspolitik ändern können oder müssen, das ist vom Ausmass der Probleme und von der Entwicklung der Inflation abhängig.
Gibt es Alternativen zur gegenwärtigen Zinspolitik des Fed (Zinskurven Bewirtschaftung, Aufwertung des Goldes in der Bilanz, Einführung einer digitalen Währung…)?
Das Mandat der Notenbank – also Preisstabilität unter Berücksichtigung der Vollbeschäftigung – ist ein zentrales öffentliches Interesse. Und da gilt es schon mitzuberücksichtigen, dass neben der Zins- oder Geldpolitik auch die Fiskalpolitik einen wesentlichen Einfluss auf die Aktivität und folglich auf die Inflation hat. Aktuell trägt die sehr expansive Fiskalpolitik wesentlich zur Inflationsdynamik bei. Die Kehrseite davon wäre eine restriktivere oder weniger grosszügige Fiskalpolitik. Das wäre meines Erachtens eine Alternative zur Bekämpfung der Inflation ausschliesslich über höhere Zinsen.
Wie sehen Sie die Zinsentwicklung in der Schweiz im Vergleich zum Ausland?
Die Inflation hat sich von ihrem Höchstpunkt von etwas über 3% wieder unter das Ziel der Notenbank bewegt. Es stehen uns zwar noch Miet- und Strompreisanstiege bevor, aber wir sind zuversichtlich, dass die aktuelle Zinspolitik ausreichen wird, die Inflation bei den angestrebten 2% zu halten. Der Schlüsselfaktor ist offensichtlich, nämlich die Unabhängigkeit des Schweizer Frankens. Die Aufwertung hat dazu geführt, dass die Importpreise gedämpft wurden und damit die Inflation ein bisschen zurückgeführt werden konnte. Die Kehrseite davon ist sicherlich, dass die Aufwertung für die exportorientierte Schweizer Industrie eine enorme Herausforderung darstellt, was wiederum auch die Dynamik in der Schweiz dämpft. So erwarten wir, dass der Zinserhöhungszyklus in der Schweiz zumindest grösstenteils hinter uns liegt und wir eine längere Zeit rund um das aktuelle Niveau bleiben werden. Das ist auch das, was die Zinskurve aktuell impliziert, nämlich dass man sehr lange auf dem aktuellen Niveau verbleiben wird.
Japan opfert seine Währung für ihre Zinspolitik. Wie hoch schätzen Sie das Wechselkursrisiko für einen Schweizer Anleger für den Euroraum sowie für ein Engagement im US-amerikanischen Bondmarkt?
Wann eine Zinsdifferenz, etwa eine Zinsdifferenz Schweizer Franken zum Euro oder Schweizer Franken zum Dollar, für ein Wechselkursrisiko entschädigt, ist eine unfassbar schwierige Prognose. Für mich ist entscheidend, dass die Renditen in Schweizer Franken, d.h. in Schweizer Franken angelegt oder abgesichert nach Zinsdifferenz, eine deutlich gestiegene Entschädigung bieten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass gerade in Phasen von Stress der Schweizer Franken stark aufwerten und eine ganz andere Charakteristik von Fremdwährungsanlagen in ein Portfolio bringen kann. Deshalb bieten wir unseren Kundinnen und Kunden ganz bewusst eine sehr breite Palette an vollständig währungsabgesicherten Fixed-Income-Lösungen an.
Die Zinskurven sind derzeit immer noch invers, was bedeutet das für den privaten Investor, wenn er Obligationen für sein Portfolio kaufen will?
Eine inverse Zinskurve ist ein Signal für eine sich abschwächende Wirtschaft. Gerade im Obligationsbereich ist es in einer solchen Situation wichtig, dass das Portfolio breit diversifiziert ist. Die Inversion an sich würde ich in Bezug auf die zukünftige Wertentwicklung eines diversifizierten Portfolios nicht unbedingt überbewerten. Kurze Laufzeiten bieten zwar höhere Yields, aber sie bieten natürlich auch deutlich geringeres Aufwertungspotenzial als lange Laufzeiten. Das wird zum Teil ein bisschen unterschätzt. Deshalb ist es entscheidend, in welchem Kontext eine Obligationsanlage gewählt wird. Wird diese für Liquidität gesucht, dann ist die Inversion von Vorteil, weil die kurzen Laufzeiten die höchsten Yields bieten. Aber als langfristiger Portfolio-Bestandteil bieten aktuell die fünf- bis zehnjährigen Anleihen eine sehr gute Balance zwischen Rendite auf Verfall und dem Aufwertungspotenzial im Fall von Marktstress.
… und wie sieht es beim institutionellen Investor aus?
Die Anlagepolitik eines institutionellen Investors ist massgeblich von zukünftigen Verpflichtungen getrieben – den Liabilities. Diese bedürfen einer Verzinsung. Die jahrelang sehr tiefen, risikoarmen Zinsen haben einen enormen Druck auf institutionelle Investoren ausgelöst, sich risikoreicheren Anlagen oder auch Anlagen mit weniger Liquidität zuzuwenden. Aufgrund der veränderten Marktsituation gehe ich davon aus, dass die klassischen Obligationslösungen wieder vermehrt zum Einsatz kommen. Nicht nur, weil sie auch die Verpflichtungen zu decken vermögen, sondern auch entsprechend das klassische Asset Liability Management wieder ermöglichen.
Vielen Dank!
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Sébastien Zöller, ist Leiter Fixed Income im Asset Management der Zürcher Kantonalbank und verantwortet seit 2020 mit seinem Team die aktiven Fixed-Income-Lösungen. Er studierte Banking & Finance an der Universität St. Gallen und der Duke University und ist CFA Charterholder. In vorherigen Funktionen war Sébastien Zöller im Fixed-Income-Bereich von Credit Suisse Asset Management tätig, sowie im Bereich Handel und Kapitalmarkt der Zürcher Kantonalbank.