Das heutige Umfeld für Technologieaktien ist anders als zur Jahrtausendwende.
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Das Interview nicht nur als Text, sondern auch als Audiofile. Hören Sie rein:
Herr Lück, BlackRock schreibt in seinem 2023 Halbjahresausblick von einem neuen Makro Regime in dem wir uns befinden. Was sind die Kernbestandteile dieser Botschaft?
Wir brauchen einen neuen Investmentansatz, weil wir in einer neuen ökonomischen Epoche leben. Die Pandemie hat gezeigt, dass Angebotsknappheiten die Weltwirtschaft stark beeinflussen. Lieferketten wurden gestört, Energie- und Arbeitskräfteknappheiten sind spürbar. Dieses Phänomen macht es schwieriger für wirtschaftspolitische Träger wie Finanzministerien und Zentralbanken, die Wirtschaft zu steuern. Es entsteht ein neues Marktregime mit grösseren Schwankungen und möglicher Stagflation, bei der schwaches Wachstum und hohe Inflation gleichzeitig auftreten. Investoren müssen sich darauf einstellen. Deshalb stellen wir die These vom neuen Marktregime prominent in den Vordergrund.
Was für Auswirkungen hat diese Einschätzung für zukünftige Anlagemöglichkeiten?
In einer volatileren wirtschaftlichen Umgebung und in Zeiten von Inflation werden auch Portfolios stärkeren Schwankungen unterliegen. Das erfordert eine häufigere taktische Allokation und einen kurzfristigeren Blick auf das Portfolio, da kurzfristig mehr Risiken auftreten können.
Zusätzlich könnte dieses neue Makroregime bedeuten, dass Phasen wie Stagflation, also schwaches Wachstum und dennoch Inflation, öfter auftreten könnten. In solchen Szenarien könnten die traditionell vorherrschenden Anlagekategorien – Aktien und Obligationen – leiden. Daher müssen Portfolios zukünftig anders strukturiert werden, um nicht nur aus diesen beiden Anlageklassen zu bestehen, sondern auch andere Komponenten einzubeziehen, um neue Anlagemöglichkeiten zu nutzen.
Die zuletzt festgestellte Marktverengung, bei der wenige Sektoren und Titel dominieren, birgt die Gefahr stark erhöhter Schwankungen. Wie können sich Anleger dagegen wappnen?
Interessant ist die starke Divergenz zwischen den Performances verschiedener Sektoren, vor allem bei Technologieaktien. Technologie hat sich als dynamische Kraft im Markt etabliert, besonders in den USA. Die Märkte haben eingepreist, dass Zinserhöhungen bald enden könnten, was das Interesse an Technologieaktien zurückgebracht hat.
Anleger sollten berücksichtigen, dass das heutige Umfeld für Technologieaktien anders ist als zur Jahrtausendwende. Die meisten grossen Technologieunternehmen haben solide Geschäftsmodelle und starke Erträge. Die hohen Bewertungen werden teilweise durch ihre starke Preissetzungsmacht und qualitativ hochwertige Produkte gerechtfertigt.
Im aktuellen Umfeld ist es ratsam, auf Qualität im Portfolio zu achten, insbesondere auf Qualitätsaktien, die auch in volatilen Phasen gut abschneiden. Minimum Volatility Strategien können ebenfalls nützlich sein, um vor Schwankungen zu schützen. Investoren können sich somit gut auf ein volatileres Umfeld mit unterschiedlichen Sektor-Performances einstellen.
Sind defensive Qualitätsaktien oder dividendenstarke Titel, die zuletzt zu den Nachzüglern zählten, künftig wieder eine Alternative?
Eine attraktive Strategie in einem sich abschwächenden wirtschaftlichen Umfeld ist die Investition in defensive Aktien, die in volatilen Phasen den Anleger vor Verlusten schützen können. Dabei sollte man nach Überschneidungen zwischen defensiver Qualität und Resilienz suchen, um eine bevorzugte Positionierung zu erreichen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass wir insgesamt immer noch eine Untergewichtung bei Industrieländer-Aktien haben. Daher sollte man im vorhandenen Teil des Portfolios eine entsprechende Gewichtung der weniger betroffenen Segmente vornehmen.
In Ihrem Ausblick rechnen Sie mit einer erhöhten Sockelinflation und einem anhaltenden Zwang der Notenbanken die Leitzinsen hochzuhalten. Wie gross schätzt BlackRock dadurch die Gefahr ein, dass die aktuelle Boomphase in einem Bust bei der Inflation endet?
Die Inflationssituation in diesem Jahr ist komplexer und schwerer zu interpretieren, da die Gesamtinflationsrate aufgrund von Basis-Effekten stark sinkt. Einige könnten argumentieren, dass die Inflation bald wieder auf die 2%-Marke zusteuert und die Zentralbanken ihre Zinssätze senken könnten. Allerdings sollte auch die sogenannte Kerninflationsrate beachtet werden, bei der stark schwankende Komponenten wie Energie- und Nahrungsmittelpreise herausgerechnet werden. Diese zeigt sich träger und reagiert langsamer auf Veränderungen.
Der Arbeitsmarkt in den USA ist sehr knapp, obwohl die Wirtschaft möglicherweise unter ihrem Potenzial wächst. Die niedrige Arbeitslosenquote und das hohe Lohnwachstum wirken als Bremse für die Kerninflation nach unten. Angebotsknappheiten, z. B. durch die Verrentung der Babyboomer-Generation, werden dazu führen, dass Preise hoch bleiben.
Die grüne Transformation erfordert massive Investitionen in nachhaltige Energien, was wiederum zu Knappheiten an Materialien wie Aluminium, Stahl und Beton führen wird und die Preise treibt. Solche strukturellen Inflationstreiber könnten die Kerninflationsraten langfristig höher halten. Dieser Hintergrund wird die Zentralbanken davon abhalten, zu schnell die Zinsen zu senken, um nicht überrascht zu werden, wenn die Inflation höher ist als erwartet.
Welche Rolle spielen Anleihen in einem solchen Szenarium im Rahmen einer Anlagestrategie?
Die Zinsen sind überraschend stark zurückgekommen, und die Anleihen spielen daher eine wichtige Rolle im Portfolio. Die Realrenditen sind wieder positiv geworden, was die Bedeutung von Anleihen unterstreicht. Allerdings sollte man nicht undifferenziert vorgehen.
Aktuell gibt es eine ungewöhnliche Zinstrukturkurve, bei der die Renditen für kurzfristige Obligationen höher sind als für langfristige Laufzeiten. Dies wird sich wahrscheinlich normalisieren, und wir könnten in der mittleren Frist niedrigere kurzfristige Zinsen, aber höhere langfristige Zinsen sehen. Daher ist es ratsam, im Portfolio entsprechend zu investieren.
Kurzlaufende Anleihen könnten derzeit attraktiver sein als länger laufende. Es ist wichtig, bei Anleihen genau hinzuschauen und zu differenzieren, beispielsweise zwischen Emittenten, Staats- oder Unternehmensanleihen und inflationsgeschützten Anleihen. Die Investitionsziele sollten berücksichtigt werden, um die optimale Positionierung im Portfolio zu erreichen.
Bei welchen Megatrends sieht BlackRock in diesem neuen Umfeld Chancen, die Anleger gezielt ergreifen können?
Megatrends spielen eine entscheidende Rolle in den Portfolios, und ihre Auswirkungen werden sich langfristig bemerkbar machen. Diese Trends umfassen die Alterung der Bevölkerung, die Transformation zu nachhaltigen Energieformen und die Neuverkabelung der Globalisierung. Künstliche Intelligenz kann eine wichtige Rolle bei der Gestaltung grüner Transformationen spielen und eröffnet erhebliche Investitionsmöglichkeiten.
Ein weiteres Schlüsselthema ist die Zukunft des Finanzsystems, da staatliche Kassen allein nicht ausreichen werden, um die grossen Herausforderungen zu bewältigen. Private Anlagekapitalisierung wird zunehmend erforderlich sein, und eine innovativere Finanzindustrie, einschliesslich Fintechs und flexibleren Finanzierungsinstrumenten, wird dazu beitragen, Ersparnisse und Investitionen besser zu verknüpfen.
Insgesamt sind diese Themen essenziell und müssen in den Investitionsstrategien berücksichtigt werden, da sie langfristige Auswirkungen haben und auch innovative Chancen für Anleger bieten.
Auf welche Aktienmärkte sollten sich Investoren konzentrieren?
Generell sind wir in den entwickelten Märkten eher untergewichtet und leicht übergewichtet in den Schwellenländern. Dies wird durch die wirtschaftliche Veränderung in China getrieben, da die Regierung das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte beschleunigen möchte.China’s Wachstum dürfte in der zweiten Jahreshälfte stärker werden, was sich auch positiv auf eventuelle direkte Investments in China auswirken könnte. Darüber hinaus profitieren Länder in Mittel- und Südamerika von Chinas grossem Ressourcenbedarf und verstärkten Rohstoffimporten.
Ein weiterer Grund ist die Zinsseite. Einige Schwellenländer, wie Brasilien, haben die Zinsen schnell und massiv erhöht, um die Inflation einzudämmen, und stehen jetzt vor einer möglichen Zinssenkung, was zusätzliche Wachstumsimpulse bedeuten könnte. Die strukturelle Situation vieler grosser Schwellenländer ist heute besser als vor zehn Jahren, als das sogenannte Taper Tantrum die Schwellenländer beeinflusste. Diese strukturellen Verbesserungen machen die Schwellenlandmärkte heute attraktiver. Insgesamt sehen wir daher die Schwellenländer derzeit positiver als die Industrieländer.
Sie erwähnen Brasilien – ist das eine spannende Alternative?
Wir erwarten, dass die Zinsen in Brasilien, die in kurzer Zeit stark gestiegen sind, auch wieder zurückgehen werden, was kurzlaufenden Anleihen in Brasilien Rückenwind verleihen wird. Zudem könnten Unternehmen, die Rohstoffe exportieren, von Verbindungen nach Asien profitieren.
Insgesamt sollten Investoren sowohl in Aktien als auch in Anleihen investieren, aber dabei genau auf die richtigen Bereiche achten. Bei den Anleihen könnten eher kürzere Laufzeiten attraktiver sein als längere. Bei den Aktien sollten vor allem Bereiche bevorzugt werden, die von einer Wiederbelebung der Weltwirtschaft profitieren, insbesondere in Asien.
Wo liegen in den kommenden Monaten die grössten Währungsrisiken?
Im Moment sieht es fundamental betrachtet nicht nach massiven Ausbrüchen in die eine oder andere Richtung beim US-Dollar aus. Die Erwartung, dass die Zinsanhebungen in den USA zum Ende kommen könnten, spricht gegen eine starke Aufwertung des US-Dollars in naher Zukunft, was positiv für Schwellenländeranlagen ist.
Japan könnte sich hingegen vor einer Entscheidung bezüglich seiner extrem expansiven Geldpolitik befinden. Wenn die Bank of Japan beschliesst, diese Politik zu normalisieren, könnte dies zu einer Aufwertung des Yen gegenüber anderen Währungen wie dem Euro und dem US-Dollar führen. Dies wäre jedoch eher eine Normalisierung als ein währungspolitisches Risiko. Insgesamt sieht es derzeit nicht nach drastischen Währungsschwankungen aus.
Sollten Investoren verstärkt die Beimischung von Gold oder Gold-/Silberminen Qualitätswerten in einem diversifizierten Portfolio berücksichtigen?
Die Nachfrage nach Edelmetallen als Beimischung im Portfolio nimmt typischerweise zu, wenn die Volatilität und Inflation hoch sind. Aktuell ist die Volatilität an den Aktienmärkten ungewöhnlich niedrig, und die erwartete starke Zinsfantasie in den USA könnte sich abschwächen, was gegen Edelmetallanlagen sprechen könnte. Allerdings könnte ein schwächerer US-Dollar und eine stabilere Zinsentwicklung Edelmetallanlagen unterstützen. Insgesamt spricht vieles dafür, eine Beimischung von Edelmetallen im Portfolio zu behalten, da sich die Situation jederzeit ändern kann und Edelmetalle als Diversifikation dienen können, um die Volatilität im Portfolio zu reduzieren.
Aus langfristiger Überlegung hält BlackRock Privatkredite für einen Bereich, der von dem Druck auf die traditionellen Banken und den strengeren Kreditbedingungen profitieren könnte. Wie lässt sich eine solche Erwartung anlageteschnisch um setzten?
Für Investoren gibt es nun auch Möglichkeiten, die bisher institutionellen Anlegern vorbehalten waren, wie Private-Debt-Fonds für Privatkredite. Diese stellen nur einen Baustein der sogenannten alternativen Anlagen dar, die nicht den klassischen Aktien, Anleihen, Obligationen oder Gold entsprechen. Weitere attraktive Bereiche sind Private Equity und Infrastrukturinvestitionen, besonders in Verbindung mit strukturellen Themen wie dem Umbau der Energieerzeugung.
Welcher ETF von BlackRock eignet sich am idealsten für die Umsetzung der Erwartung von BlackRock?
Da muss ich Sie leider enttäuschen. Da bin ich der falsche Gesprächspartner, weil ich per Definition produktagnostisch unterwegs bin. Das heisst, ich kann da wenig zu einzelnen Produkten sagen und das wäre dann eine gute Frage für meine Kolleginnen und Kollegen auf der Investmentseite.
Vielen Dank!
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Martin Lück, ist Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. In dieser Funktion verantwortet er seit Oktober 2015 das makroökonomische Research und die Investment-Einschätzungen von Blackrock in der Region. Der promovierte Volkswirt und Bankkaufmann verfügt über mehr als zwanzig Jahre Berufserfahrung. Vor seinem Wechsel zu BlackRock hat er bei der UBS Deutschland gearbeitet. Dort analysierte er als Chefvolkswirt für Deutschland und Mitglied des European-Economics-Teams seit 2007 vor allem Deutschland, Italien und die Niederlande sowie die EZB-Politik und Investment-Themen.