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payoff Interviews

Leider gibt es nur ganz wenige Vermögenswerte, die in Zeiten hoher Inflation funktionieren

08.09.2022 6 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Herr Gerlach, wie beurteilen Sie die derzeitige Wirtschaftslage?
Sehr fragil. Die Weltwirtschaft leidet weiterhin unter der sehr hohen Inflation. Dazu kommen die global fallenden Wachstumsraten. Da viele Zentralbanken endlich begonnen haben ihre Geldpolitik zu straffen und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin andauert, kühlt sich die Konjunktur nicht nur in Europa und Nordamerika zusehends ab. Eine globale Rezession deutet sich an.

Und wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung? Wo geht die Reise hin?
Zwischen Preisen und Zinsen klafft immer noch eine enorme Lücke. Diese Lücke ist so gross, dass sie nicht mehr ohne erhebliche wirtschaftliche Kosten geschlossen werden kann – wenn überhaupt. Zentralbanken können ja nur die fiskalisch bedingte Inflation beeinflussen, nicht aber die geopolitische Inflation. Das Risiko ist also hoch, dass wir einen unwirksamen Rezessionsschock bekommen. Volkswirtschaften und Märkte werden leiden, aber die Inflation wird trotzig überleben. Ein solches Szenario erscheint mir sehr wahrscheinlich.

Worauf basieren Ihre Aussagen?
Auf der Überzeugung, dass die heutige Inflationskrise nicht mit den stagflationären 1970er Jahren vergleichbar ist. Vielmehr stellt sie einen typischen Inflationsschub nach einer Nullzinskrise, sprich Liquiditätsfalle, dar. Solche Preisschübe dauern sehr lange, da fiskalische Inflation und geopolitische Inflation plötzlich zusammen auftreten. Dazu zwingen Deglobalisierung und Militarisierung den Staat zu negativen Realzinsen, da es sonst zu extremen Wachstumskrisen kommen würde. Die letzten zwei vergleichbaren Inflationsregime dieses düsteren Typus waren 1895-1920 und 1933-47.

«Vielmehr stellt sie einen typischen Inflationsschub nach einer Nullzinskrise, sprich Liquiditätsfalle,dar.»

Bei einer Präsentation sprachen Sie von «neuen Anlagerisiken». Was hat es damit auf sich?
Es sind nicht ewige Naturgesetze, die die Renditeprofile von Vermögenswerten bestimmen, sondern menschliche Handlungen. Deshalb ist eine «Regime-Perspektive» für die Vermögensverwaltung so wichtig. Entscheidend ist heute, dass sich das Profil der Vermögensrenditen während eines Dauer-Inflations-Regimes fundamental ändert. Weder nominale Anleihen noch Aktien werden positive Realerträge (Renditen nach Abzug der Inflation) liefern können. Ein solches Risiko gab es in den vergangen 40 Jahren nicht.

«Nicht jeder Rohstoff bietet Anlegern das gleiche Ausmass an Inflationsschutz.»

Inflation wird aus Ihrer Sicht ein dominierender Faktor, respektive ist es schon. Wie kann der Privatanleger sein Vermögen schützen?
Leider gibt es nur ganz wenige Vermögenswerte, die in Zeiten hoher Inflation funktionieren. Den effektivsten und liquidesten Inflationsschutz bieten Rohstoffe. Einen leichten Schutz offerieren Rohstoffaktien oder inflationsindexierte Anleihen.

 …und was bietet keinen bis wenig Schutz?
Gar keinen Schutz bieten Aktien und nominale Anleihen d. h. das traditionelle 60/40 Portfolio. Besonders unter Inflation leiden Anlagen, für die Anleger normalerweise bereit sind, in Erwartung eines zukünftigen Wachstums, aktuell einen höheren Preis zu zahlen, sogenannte «Long Duration Assets», wie z. B. Technologieaktien. Interessanterweise leiden auch Immobilien in stagflationären Zeiten. Zum Beispiel brachen die realen Schweizer Wohnimmobilienpreise zwischen 1973-76 um 26% ein.

Also Rohstoffe sind die Lösung. Gibt es da wie bei Aschenputtel, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen?
Sicherlich. Nicht jeder Rohstoff bietet Anlegern das gleiche Ausmass an Inflationsschutz. Es gilt die Märkte auszusortieren, die nicht direkt von fiskalischer oder geopolitischer Inflation betroffen sind. Seit Anfang März fällt zum Beispiel der Kupferpreis stetig, da bisher weder neue fiskalischen Massnahmen die Nachfrage stimulieren, noch der Krieg das Angebot verknappt. Dagegen explodieren europäische Erdgaspreise trotz einer sich abkühlenden Konjunktur weiter.

Jetzt habe ich die Guten, wie investiere ich nun in diese?
Bei Rohstoffen macht ein statischer Ansatz keinen Sinn. Zuviel Krisen-Alpha geht dabei verloren. Inflationsabsicherung funktioniert am besten durch einen diversifizierten «Real-Return»-Strategieansatz, der sich dynamisch an Markttrends anpasst. Die Wahrscheinlichkeit, die benötigte tiefe, negative Korrelation zu Aktien und Anleihen zu bekommen wird durch eine fokussierte Lösung mit konsequenter Drawdown-Kontrolle und robustem high-conviction Engagement um ein Vielfaches erhöht.

Sie sprechen häufig von einem Carry-trade. Was meinen Sie damit?
Da Rohstoffe Warenterminkontrakte sind, müssen sie regelmässig gerollt werden, um keine physische Lieferung auszulösen. Das bedeutet man verkauft einen auslaufenden Kontrakt und kauft gleichzeitig einen neuen auf den gleichen Rohstoff, aber mit einer anderen Laufzeit. Der Preisunterschied zwischen diesen beiden Kontrakten ist der Carry. Er kann Rollverluste oder Rollgewinne erzeugen. Langfristig ist es dieser Carry, der die Excess-Rohstoffrendite bestimmt. Mit Carry-Trade meine ich, dass ohne positiven Carry Rohstoffe kein effektiver Inflationsschutz sind.

Gold haben wir bis jetzt ausgelassen. Gold gilt als Hedge bei Krisen. Wie beurteilen Sie Gold in der aktuellen Situation?
Wie die letzten zwei Jahre verdeutlichen, ist Gold in Zeiten stark steigender Rohstoffpreise wenig attraktiv, da es nur einen zinsgesteuerten d. h. negativen Carry besitzt. Diese Eigenschaft macht Gold jedoch zu einem wunderbaren Hedge gegen deflationäre, rezessionäre Krisen. Sollte die Deflation eines Tages zurückkehren und die Zentralbanken zu nominal Negativzinsen gezwungen werden, würde Gold somit einen positiven Carry aufweisen.

«Da Rohstoffe Warenterminkontrakte sind, müssen sie regelmässig gerollt werden, um keine physische Lieferung auszulösen.»

Zum Abschluss, ich gebe Ihnen 100’000 Cash, wie sieht Ihre Asset-Allokation für die nächsten 5+-Jahre aus?
Für die nächsten Jahre würde ich mich nicht auf die klassischen passiven Anlageklassen verlassen. Die realen Renditeerwartungen sind viel zu niedrig. Eine gleichmässige Diversifizierung entlang aktiv gemanagter und rohstoffaffiner Anlagestrategien (wie Carry) macht in Zeiten von hohem Inflationsrisiko viel mehr Sinn. Für diejenigen die sich immer noch nicht vom traditionellen 60/40 Portfolio trennen können, ist eine risikogewichtete Allokation inklusive einer Krisen-Alpha-fokussierten Rohstoffstrategie sicherlich sehr sinnvoll.

Vielen Dank.

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Christian Gerlach verfügt über mehr als 15 jährige Erfahrung in der Investmentbrache. Er begann seine Karriere als Rohstoffanalyst bei einem Schweizer Hedgefonds des amerikani- schen Investor Jim Rogers. Danach wechselte er zu GAM Investments als Portfoliomanager mit Sitz in Zürich, wo er erfolgreich verschiedene Rohstoffstrategien (long only und long/short) mit einem Spitzenvolumen von 1 Milliarde US-Dollar verwaltete. Christian ist Autor zahlreicher Fachartikel (Financial Times, FAZ etc.) und regelmässiger Keynote-Speaker z. B. ADB Asian Development bank. Er besitzt einen MSc in Globaler Wirtschaftsgeschichte von der London School of Economics (LSE).

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